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Keynote vom Geschäftsträger a.i. ZHANG Junhui beim Dialog mit den Stipendiatinnen und Stipendiaten der KAS
2022-07-28 11:30

Sehr geehrte Frau Lederer, sehr geehrter Herr Dr. Bösken,

liebe Stipendiatinnen und Stipendiaten der Konrad-Adenauer-Stiftung,

zunächst einmal ein herzliches Willkommen hier in der Chinesischen Botschaft in Berlin! Wie ich höre, sind Sie alle äußerst engagierte junge Menschen und ich freue mich außerordentlich auf den heutigen Austausch mit Ihnen. Er weckt nämlich auch Erinnerungen an meine eigene Studienzeit an der Universität Hamburg, die jetzt allerdings schon fast 40 Jahre zurückliegt. 

Damals war Deutschland noch ein geteiltes Land, die Europäische Union hieß „Europäische Gemeinschaft“ und das Schengener Abkommen war noch nicht unterzeichnet. Auch den Euro gab es damals noch nicht. Zu jener Zeit steckte die Reform und Öffnung in China noch in den Kinderschuhen. Chinas Bruttoinlandsprodukt betrug knapp 300 Milliarden US-Dollar, also gerade einmal 30 Prozent der damaligen Wirtschaftsleistung der BRD und nur knapp zwei Prozent der Weltwirtschaft. 

In den folgenden gut vier Jahrzehnten war ich als Diplomat mehrfach in Deutschland, Österreich und der Schweiz tätig und fungierte außerdem zwei Jahre lang als Vize-Bürgermeister der Stadt Yichang in der chinesischen Provinz Hubei. Von daher habe ich sozusagen die großen Veränderungen in China, Deutschland, Europa und der Welt über die Jahre miterlebt, und zwar aus vielfältigen Perspektiven. Man hat mir gesagt, dass Sie heute gerne etwas mehr über die Entwicklung und die internationale Rolle Chinas sowie die Beziehungen unseres Landes zu Deutschland und Europa erfahren möchten. Um auf diese drei Themenbereiche näher einzugehen, würde ich das Stichwort der „Veränderung“ als Aufhänger nehmen.

1. Chinas aktueller Entwicklungsstand

Lassen Sie uns zunächst einmal schauen, wie das heutige China aussieht. 2021 erreichte Chinas Bruttoinlandsprodukt über 17 Billionen US-Dollar. Es liegt damit heute 40 Mal höher als noch im Jahr 1978, als der Startschuss für die Reform und Öffnung fiel. Heute macht Chinas Wirtschaftsleistung mehr als 18 Prozent der Weltwirtschaft aus. Unser Land hat sich zur zweitgrößten Volkswirtschaft aufgeschwungen und trägt in vielen Jahren mehr als 30 Prozent zum globalen Wachstum bei. Wir haben in China über die Jahre eine Gesellschaft mit moderatem Wohlstand geschaffen. Bis zur allgemeinen sozialistischen Modernisierung allerdings ist es noch ein langer Weg. Hier stehen wir gewissermaßen noch am Anfang und haben lediglich erste kleine Schritte unternommen. Lassen Sie mich die Entwicklung Chinas in der neuen Ära im Folgenden an vier Punkten veranschaulichen:

Erstens hat sich das Leben der Chinesen deutlich verbessert. Seit Beginn der Reform und Öffnung hat China mehr als 700 Millionen Menschen aus der Armut geholt und damit mehr als 70 Prozent zur weltweiten Armutsüberwindung beigetragen. Das Armutsbekämpfungsziel der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung konnten wir schon zehn Jahre früher erreichen als geplant. Die Gruppe mit mittlerem Einkommen zählt heute in China über 400 Millionen Menschen. Zudem haben wir das größte Bildungs-, Sozialversicherungs- und Gesundheitssystem der Welt geschaffen, mit einer Sozialversicherungsquote von über 95 Prozent.

Zweitens hat China sein Entwicklungsmodell umgestellt. Chinas Pro-Kopf-BIP liegt derzeit bei 12.500 US-Dollar, was nur etwa einem Viertel des deutschen Wertes entspricht. Denn Probleme wie unausgewogene und unzureichende Entwicklung machen uns weiterhin zu schaffen. Doch China hat eindeutig einen neuen Entwicklungsgang eingelegt: hohes Wachstum alleine, sprich ausschließlich Quantität, war gestern. Heute setzen wir auf eine Entwicklung hoher Qualität und Effizienz. Geplant ist, die Industrie- und Nachfragestruktur zu optimieren, genauso wie die Einkommensverteilung. 

Zudem soll der Klimaschutz stärker im Vordergrund stehen. China verfügt mittlerweile über die weltweit größte installierte Kapazität bei Wind- und Wasserkraft, Solarenergie und der Stromerzeugung aus Biomasse. Wir haben auch den weltweit größten Kohlenstoffmarkt und ein sauberes Stromerzeugungssystem aufgebaut. Es ist uns gelungen, die CO2-Emissionen pro BIP-Einheit um gut 34 Prozent zu senken. Damit haben wir die Aktionsziele des Pariser Klimaabkommens schon vor dem Jahr 2020 übererfüllt. 

Präsident Xi Jinping hat angekündigt, dass China bis 2030 den Höhepunkt seiner Kohlenstoffemissionen anstrebt. Bis 2060 soll unser Land dann kohlenstoffneutral werden. Außerdem hat er zugesichert, auf den Bau neuer Kohlekraftwerke außerhalb Chinas zu verzichten. All dies zeigt, mit welcher Entschlossenheit sich China für den Klimaschutz engagiert. Nirgendwo sonst auf der Welt werden zudem so viele mit neuer Energie betriebene Fahrzeuge hergestellt und verkauft wie in China. Was das angeht, ist unser Land schon seit sieben Jahren globaler Spitzenreiter. Ende 2021 waren auf Chinas Straßen 7,84 Millionen solcher Fahrzeuge unterwegs. Allein die Zahl der Neuzulassungen lag im vergangenen Jahr bei 2,95 Millionen. Das ist fast fünfmal so viel, wie der aktuelle Gesamtbestand an Elektrofahrzeugen in Deutschland.

Drittens setzt China auf Innovation. Im vergangenen Jahr haben wir 2,79 Billionen Yuan in Forschung und Entwicklung investiert, mehr als doppelt so viel wie noch vor einem Jahrzehnt. Im Global Innovation Index der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) ist China zwischen 2012 und 2021 von Platz 34 auf Rang 12 vorgerückt. In den letzten Jahren gab es bei uns große Durchbrüche in Hightech-Feldern wie der bemannten Raumfahrt, dem Supercomputing, der Beidou-Navigation und der Quantenkommunikation. Bei Hochgeschwindigkeitsverkehr, mobiler Kommunikation und Kernenergie spielen wir mittlerweile in der ersten Liga mit. Im Aufwind sind außerdem Tech-Innovationen wie mobiles Bezahlen und Shared Mobility, industrielles Internet, Big Data und Cloud Computing, was auch die intelligente Fertigung kräftig vorantreiben.

Viertens heißt das Zauberwort noch immer Öffnung. Momentan fördern wir die Entstehung eines neuen Entwicklungsmusters. Tragende Säule ist hierbei Chinas großer inländischer Wirtschaftskreislauf, sprich: der Binnenmarkt. Ergänzt wird dieser aber durch den internationalen Markt. Daraus ergibt sich ein Doppelkreislauf, bei dem sich die in- und ausländische Wirtschaft gegenseitig fördern. Manche meinen, in diesem neuen Doppelkreislauf eine selbstverordnete Abschottung oder sogar Abkopplung Chinas vom Weltmarkt zu erkennen. Doch wer so denkt, hat Chinas Politik eindeutig missverstanden. 

Dabei sprechen die Fakten eigentlich für sich: China ist nach wie vor der größte Handelspartner von 128 Ländern weltweit, darunter auch Deutschland. Wir beteiligen uns aktiv an der Regionalen Umfassenden Wirtschaftspartnerschaft (RCEP), die als größte Freihandelszone der Welt fast die Hälfte der Weltbevölkerung und ein Drittel des Welthandelsvolumens umfasst. Dem Handel zwischen China und den Teilnehmerländern wird dadurch noch einmal Schub verliehen. Außerdem haben wir ein Abkommen über geografische Angaben mit der EU besiegelt und die Verhandlungen über das Investitionsabkommen zwischen China und Europa abgeschlossen. 

Was die Nutzung ausländischer Investitionen anbelangt, hat China allein im vergangenen Jahr 1,15 Billionen Yuan an ausländischem Kapital angezogen, 14,9 Prozent mehr als im Vorjahr. Erstmals seit fast einem Jahrzehnt erleben wir wieder ein zweistelliges Wachstum. Zwischen Januar und Mai dieses Jahres konnte China noch einmal Kapital in Höhe von 564,2 Milliarden Yuan anlocken, ein Plus von 17,3 Prozent verglichen mit dem Vorjahreszeitraum. Die Wachstumsrate der ausländischen Investitionen hat also erneut kräftig zugelegt, eindeutig ein Beleg dafür, dass sich das Geschäftsumfeld in China weiter verbessert. Präsident Xi Jinping hat es gut auf den Punkt gebracht: „Egal wie sich die Welt auch wandeln mag, Chinas Bekenntnis und Wille zu Reform und Öffnung bleiben felsenfest.“

Meine Damen und Herren,

China entwickelt sich in einem atemberaubenden Tempo. Konstant aber ist, dass die Kommunistische Partei Chinas das Regierungsruder in der Hand hält. Mit mehr als 96 Millionen Mitgliedern ist die KP Chinas die größte Regierungspartei im bevölkerungsreichsten Land der Welt. Warum konnte sie ihre Regierungsposition behaupten? Nun, weil sie zu jedem Zeitpunkt das Volk in den Mittelpunkt gestellt und beim Regieren immer mit der Zeit Schritt gehalten hat. Hier liegt letztlich der Schlüssel dafür, wie es einem Land mit 1,4 Milliarden Menschen gelingen konnte, in nur wenigen Jahrzehnten das zu schaffen, wofür die westlichen Industrienationen mehr als ein Jahrhundert benötigt haben. 

Das Glück der Bevölkerung und der Wiederauferstehen der chinesischen Nation – das sind die beiden großen Ziele, für die die KP Chinas seit ihrer Gründung kämpft. Seit über 100 Jahren stellt sie sich damit ganz in den Dienst des Volkes und hat im neuen China ein doppeltes Entwicklungswunder geschaffen, nämlich raschen wirtschaftlichen Aufstieg bei langfristiger sozialer Stabilität. Die Harvard-Universität hat 13 Jahre in Folge Bevölkerungsumfragen in verschiedenen Ländern durchgeführt. Das Ergebnis: die öffentliche Unterstützung für Partei und Regierung liegt in China seit Jahren konstant bei über 90 Prozent. Immer wieder schnitt China hier besser ab als alle anderen Länder. Auch eine aktuelle Erhebung der amerikanischen PR-Firma Edelman bestätigt diese Resultate. Auch sie bezifferte das Vertrauen der Chinesen in ihre Regierung im Jahr 2021 auf 91 Prozent. China war damit Vertrauensweltmeister unter allen untersuchten Staaten.

Das konnte man auch im Umgang mit Corona beobachten. Hätte China hier einfach die Hände in den Schoß gelegt und der Epidemie ihren Laufen gelassen, wäre mit 112 Millionen Infizierten und gut 1,6 Millionen Toten zu rechnen gewesen. Das sind Zahlen, die aus einem Forschungsartikel der Fachzeitschrift Nature Medicine hervorgehen. Fakt ist: Während die Lebenserwartung in einigen Industrieländern wie den USA seit mehr als zwei Jahren sinkt, hat China die weltweit niedrigste Covid-Infektions- und Sterberate, und die Lebenserwartung ist stetig gestiegen. Dies beweist eindeutig, dass Chinas Präventions- und Kontrollmaßnahmen fundiert, richtig, wirksam und verantwortungsbewusst gegenüber der Bevölkerung sind. 

Ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal betonen, dass Chinas „dynamische Covid-Politik“ nicht darauf abzielt, alle Infektionen stetig auf null zu halten. Es geht darum, Ausbrüche so schnell wie möglich und zu den geringsten gesellschaftlichen Kosten einzudämmen, das Leben und die Gesundheit der Menschen so weit wie möglich zu schützen und die normale Lebens- und Produktionsordnung möglichst aufrechtzuerhalten. Mittlerweile ist das Infektionsgeschehen in ganz China gut unter Kontrolle. Chinas Wirtschaft ist robust, voller Potential und langfristig vielversprechend. An diesen Eckdaten hat sich nichts geändert. Wir passen unsere Coronaprävention flexibel an, dazu gehört auch die erleichterte Einreise für ausländische Bürger und Erhöhung der Zahl der internationalen Flüge.

In diesem Herbst findet der 20. Landesparteitag der KP Chinas statt. Er wird die Weichen für die weitere Entwicklung unseres Landes in den kommenden fünf Jahren stellen. Wir haben für Sie in diesem Zusammenhang eine kleine Broschüre mit dem Titel „Die Kommunistische Partei Chinas: Ihre Mission und Leistungen“ vorbereitet, die Sie bei Interesse gerne mit nach Hause nehmen und in Ruhe durchlesen können.

2. Chinas internationale Rolle und Außenpolitik

Parallel zu Chinas enormen Fortschritten durchläuft die ganze Welt momentan einen Jahrhundertwandel. Wir stehen vor zahlreichen sicherheitspolitischen Herausforderungen, der globale Wirtschaftsaufschwung stockt und Unsicherheiten und Unwägbarkeiten mehren sich. Und da wären wir wieder beim eingangs erwähnten Stichwort der „Veränderung“. Eines aber ist konstant geblieben: nämlich das gemeinsame Streben aller Völker nach Frieden und Entwicklung. Mit Blick darauf hat China zwei wichtige Initiativen angestoßen:

Zum einen die globale Sicherheitsinitiative. Dass in Europa wieder die Flammen des Krieges lodern, führt uns eines schmerzlich vor Augen: Wer nach Machtpositionen, erweiterten Militärbündnissen und eigener Sicherheit auf Kosten anderer strebt, ist auf dem Holzweg und tappt unweigerlich in ein Sicherheitsdilemma. Nur wenn sich alle an die leidvollen Lektionen des Krieges erinnern und sich gegen Hegemonie, Blockpolitik und Lagerkonfrontation wehren, hat der Frieden eine Chance.

Im April hat Präsident Xi Jinping die globale Sicherheitsinitiative vorgestellt. Es handelt sich um ein chinesisches Lösungskonzept für sicherheitspolitische Fragestellungen. Kerngedanken sind die Achtung der Souveränität und territorialen Integrität aller Länder, die Einhaltung der Ziele und Grundsätze der UN-Charta, die Berücksichtigung der legitimen Sicherheitsanliegen aller Staaten, die friedliche Beilegung von Differenzen und Streitigkeiten mittels Dialog und Konsultation sowie die Aufrechterhaltung der Sicherheit in traditionellen wie nichttraditionellen Bereichen, und zwar auf integrierte Weise.

Vor über 700 Jahren navigierte der chinesische Seefahrer ZHENG He eine riesige Schiffsflotte in Richtung Westen. Seine insgesamt sieben Erkungdungsreisen führten den Navigator und seine Gefolgschaft in mehr als 30 Länder und Regionen, wo man umfangreiche Handels- und Austauschbeziehungen knüpfte – und das ohne ein Abschlachten der einheimischen Bevölkerung oder die gewaltsame Einverleibung von Kolonien. In den 73 Jahren seit ihrer Gründung hat die Volksrepublik China nie einen Krieg entfesselt, geschweige denn auch nur einen Zentimeter Land besetzt. China stellt heute den größten Anteil an Friedenstruppen unter den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates und ist zudem der zweitgrößte Beitragszahler der UN-Friedensmissionen. Wir sind fest entschlossen, einen neuen sicherheitspolitischen Weg zu beschreiten, nämlich Dialog statt Konfrontation, Partnerschaft statt Bündnisbildung und Win-Win statt Nullsummenspiele.

Auch in der Ukraine-Frage hat sich China von der ersten Stunde an für eine friedliche Lösung ausgesprochen. Wir fällen stets ein unabhängiges Urteil auf Grundlage der Tatsache. Auf eigene Weise fördern wir Gespräche und eine Entspannung der Lage. Zudem unterstützen wir die europäische Seite dabei, eine aktive Rolle bei der Friedensstiftung und der Förderung des Dialogs zu spielen und einen ausgewogenen, wirksamen und nachhaltigen europäischen Sicherheitsrahmen zu schaffen. Eine Zeitenwende heißt nicht, dass wir das Rad der Geschichte zurückdrehen sollten. Ganz im Gegenteil: Es liegt im gemeinsamen Interesse Chinas, Deutschlands und Europas, zu verhindern, dass der Eiserne Vorhang wieder über Europa fällt und sich die Welt in feindliche Blöcke spaltet.

Zum anderen hat China die globale Entwicklungsinitiative vorgestellt. Corona-Pandemie und Ukraine-Krise haben die internationalen Versorgungsketten in Mitleidenschaft gezogen. Auch die Rohstoffpreise sind in die Höhe geschnellt und das internationale Währungs- und Finanzsystems wird immer anfälliger. All dies geht an keinem Land spurlos vorbei. 1,2 Milliarden Menschen in rund 70 Ländern sind mit der Pandemie sowie der neuerlichen Nahrungsmittel-, Energie- und Schuldenkrise konfrontiert. Die Erfolge der weltweiten Armutsbekämpfung mehrerer Jahrzehnte stehen auf dem Spiel.

Aus diesem Grund hat Präsident Xi Jinping eine globale Entwicklungsinitiative angeregt. Ihr Ziel ist es, eine solidarische, gerechte, ausgewogene und inklusive globale Partnerschaft wachsen zu lassen. Dafür soll Zusammenarbeit bei Armutsbekämpfung, Gesundheit, Bildung sowie Ernährungs- und Energiesicherheit und auch in den Bereichen digitale Vernetzung und Industrialisierung umfassend vorangetrieben werden. Bereits mehr als 100 Länder und internationale Organisationen, darunter auch die Vereinten Nationen, beteiligen sich an dieser Initiative. Über 50 Länder sind bis dato der Gruppe der Freunde der globalen Entwicklungsinitiative beigetreten. 

In den letzten 50 Jahren hat unser Land Tausende von Entwicklungshilfeprojekten in über 160 Entwicklungsländern durchgeführt und dabei mehr als 400.000 Menschen aus- und weitergebildet. Im vergangenen Monat war Präsident Xi Jinping Gastgeber des hochrangigen Dialogs über globale Entwicklung. Dabei kündigte er weitere wichtige Maßnahmen an, darunter die Einrichtung des Fonds für globale Entwicklung und Süd-Süd-Kooperation, höhere Investitionen in den Friedens- und Entwicklungsfonds zwischen China und den Vereinten Nationen, die Gründung eines Zentrums für globale Entwicklungsförderung, einen globalen Entwicklungsbericht und die Einrichtung eines Wissensnetzwerkes für globale Entwicklung. Mit diesen Anstrengungen trägt China maßgeblich dazu bei, globale Entwicklungsressourcen zu mobilisieren und die Agenda 2030 noch schneller umzusetzen. 

Angesichts der globalen Corona-Wellen startete unser Land die größte humanitäre Hilfsaktion in der Geschichte der Volksrepublik. Für uns sind und bleiben Impfstoffe ein öffentliches Gut. Wir waren deshalb die ersten, die anderen Ländern bei der Versorgung mit Vakzinen unter die Arme gegriffen haben. Mittlerweile hat China über 2,2 Milliarden Impfdosen an über 120 Länder und internationale Organisationen geliefert. Jede zweite verabreichte Corona-Impfung weltweit ist heute also „Made in China“.

In Anbetracht der schleppenden Erholung der Weltwirtschaft treibt China auch die Umsetzung der Seidenstraßeninitiative voran, und zwar mit hohem Qualitätsanspruch. Das Motto lautet: „mitreden, mitgestalten, mitprofitieren“. Dreh- und Angelpunkt sind die gegenseitige Vernetzung und Anbindung aller Teilnehmerländer. Wir wollen eine grüne, offene und transparente Seidenstraße der Moderne schaffen, mit hohen Standards und großer Nachhaltigkeit. Sie soll allen Menschen zugutekommen und das Leben aller verbessern. 

Bisher haben wir dafür mehr als 200 Kooperationsabkommen mit über 180 Ländern und internationalen Organisationen unterzeichnet und über 130 Milliarden US-Dollar direkt in den Anrainerstaaten investiert. In der ersten Hälfte dieses Jahres ist Chinas Handel mit den Seidenstraßenländern um 17,8 Prozent gegen den Trend gewachsen. Das hat der wirtschaftlichen Erholung dieser Länder starke Impulse verliehen. Laut einer Studie der Weltbank wird die vollständige Umsetzung der Initiative insgesamt 32 Millionen Menschen aus mittelschwerer Armut befreien. Von mittelschwerer Armut spricht man dann, wenn Menschen im Schnitt weniger als 3,20 US-Dollar pro Tag zum Leben haben. Wir sind zuversichtlich, dass die Belt-and-Road-Initiative zu einem „Band der Entwicklung“ und einer „Straße zum Glück“ für alle Völker wird.

Wussten Sie, dass selbst Deutschland und Europa tiefe Wurzeln in der alten Seidenstraße haben? Es war nämlich der deutsche Geograph Ferdinand von Richthofen, der den Begriff der Seidenstraße im 19. Jahrhundert prägte. Heute wird die neue Seidenstraße zu einem Wachstumsfaktor für die chinesisch-europäische Zusammenarbeit. Eines der Aushängeschilder ist zweifelsohne der China-Europa-Güterzugexpress, der bereits über 190 Städte in 24 europäischen Ländern miteinander verbindet. Über eintausend Züge pro Monat, also mehr als zehntausend pro Jahr pendeln mittlerweile auf dem Schienenweg zwischen China und Europa. Die Häfen wie Duisburg und Hamburg sind dabei wichtige Drehkreuze in Deutschland. Doch wir haben es hier längst nicht nur mit einfachen Verkehrsverbindungen zu tun, sondern mit einem ausgefeilten Logistiknetz, das Asien und Europa organisch verwebt. Es wird eine Straße zum gemeinsamen Vorteil und Gewinn etabliert.

Meine Damen und Herren!

Die zwei genannten großen Initiativen zur globalen Sicherheit und Entwicklung sollen das Rad aber keineswegs neu erfinden. Vielmehr sind sie als Antwort auf einen gemeinsamen Wunsch aller Völker zu verstehen. Sie sollen durch chinesische Weisheit und Lösungsansätze zu Frieden und Entwicklung in der Welt beitragen. China hat wiederholt betont, dass unsere Welt nur auf einem System fußen kann, nämlich dem internationalen System mit den Vereinten Nationen als Herzstück. Es gibt für uns nur eine legitime Ordnung, nämlich die auf dem Völkerrecht basierende internationale Ordnung; und nur ein Regelwerk, nämlich die grundlegenden Normen der internationalen Beziehungen, die auf den Zielen und Grundsätzen der UN-Charta beruhen. China ist ein Profiteur der internationalen Ordnung und der Globalisierung. Und wir werden nicht zuletzt deshalb immer ein Förderer des Weltfriedens, ein Beitragender zur globalen Entwicklung und ein Verteidiger der internationalen Ordnung sein.

3. Chinas Beziehungen zu Deutschland und Europa

In diesem Jahr feiern China und Deutschland den 50. Jahrestag ihrer diplomatischen Beziehungen. Rückblickend ist es beiden Ländern im Laufe des letzten halben Jahrhunderts gelungen, trotz ideologischer Unterschiede stets im offenen Austausch zu stehen und eine Erfolgsgeschichte gemeinsamer Entwicklung und Nutzen zu schreiben. Gegenseitiger Respekt und Win-Win-Kooperation waren stets die Losung. 

In den letzten 50 Jahren haben beide Seiten mehr als 70 Dialogmechanismen, einschließlich Regierungskonsultationen, eingerichtet. Die bilateralen Beziehungen wurden stetig aufgewertet, von „Partnerschaft in globaler Verantwortung“ über „strategische Partnerschaft“ zur heutigen „umfassenden strategischen Partnerschaft“. Seit dem Amtsantritt der neuen Bundesregierung haben Präsident Xi Jinping und Premierminister Li Keqiang bereits viermal per Videoschalte bzw. telefonisch mit Bundeskanzler Scholz kommuniziert und so einen engen strategischen Austausch gepflegt. Bei der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen lag das Handelsvolumen zwischen China und Deutschland noch bei weniger als 300 Millionen US-Dollar. Bis zum vergangenen Jahr sind daraus über 250 Milliarden US-Dollar geworden. China ist seit sechs Jahren in Folge Deutschlands größter Handelspartner weltweit. Umgekehrt ist Deutschland seit langem der wichtigste Handelspartner Chinas in der EU. Zudem haben unsere beiden Länder mehr als 100 Städte-, Länder- bzw. Provinzenpartnerschaften ins Leben gerufen. Sie verleihen den wechselseitigen Beziehungen noch mehr Impulse und Gestaltungskraft.

Die chinesisch-deutschen Beziehungen haben sich zwar beständig weiterentwickelt, aber auch hier sind einige „Veränderung“, die teils nachdenklich stimmen, zu beobachten. Denn seit geraumer Zeit beschwören in Deutschland einige Stimmen aus dem In- und Ausland immer wieder die vermeintlichen Dreiklang-Definierung Chinas als „Partner, Wettbewerber und Systemrivale“. Sie befeuern damit den Systemwettbewerb mit China, warnen vor wirtschaftlichen Abhängigkeiten, fordern sogar eine Abkopplung von China. Sie rücken ideologische Differenzen in den Vordergrund und potenzieren diese sogar. Mit ihren Parolen nehmen sie die praktische Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern in Wissenschaft, Technologie, Kultur und Bildung in Geiselhaft und legen dieser Steine in den Weg. 

Diese Dreiteilung soll dem Vernehmen nach eigentlich durch den Sicherungswunsch nach partnerschaftlicher Zusammenarbeit motiviert sein. Doch solch widersprüchliche Wahrnehmungen und Behauptungen sind in der Realität nur schwer umzusetzen. Stellen Sie sich vor: Wie würden wohl Deutschland und Europa reagieren, wenn China seine Zusammenarbeit an das Ziel knüpfte, das politische System und den Entwicklungsweg Europas zu verändern, man aber gleichzeitig auch keinen Hehl daraus machen würde, von der Kooperation profitieren zu wollen?

China und Deutschland haben weder historische Altlasten noch grundlegenden Interessenkonflikte. Wir ergänzen uns bei der Zusammenarbeit in unseren Stärken nach wie vor so gut. Und es hat sich auch nichts daran geändert, dass gegenseitiger Nutzen und gemeinsames Gewinnen den Grundstein unserer Kooperation bilden. Historisch-kulturelle Unterschiede, verschiedene politische Systeme und ein unterschiedlicher Entwicklungsstand – all das war auch schon bei der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen gegeben. Diese Unterschiede gibt es nach wie vor und sie werden sich auch in Zukunft nicht einfach in Luft auflösen. Doch da sie das Fortkommen der bilateralen Beziehungen in den vergangenen 50 Jahren ganz offensichtlich nicht behindert haben, werden wir durchaus auch in der Lage sein, einander in Zukunft zu respektieren, voneinander zu lernen und uns gegenseitig beizustehen. 

Im Mai dieses Jahres hat Xi Jinping in einem Videogespräch mit Bundeskanzler Scholz betont, dass sich drei Dinge nicht ändern: nämlich Chinas grundsätzlicher Wille, die chinesisch-deutschen Beziehungen auszubauen, unser aufrichtiger Wunsch, die Zusammenarbeit mit Deutschland auszuweiten und die Zuversicht, dass man in Zukunft gemeinsam noch mehr Bedeutsames erreichen und bewegen kann. Ich denke, dies ist die klarste Antwort zu den chinesisch-deutschen Beziehungen, die China im Hinblick auf den Jahrhundertwandel geben kann.

Lassen Sie mich zum Abschluss auch noch ein paar Worte über die chinesisch-europäischen Beziehungen verlieren. Hier haben wir stets betont, dass China und Europa umfassende strategische Partner und eine Chance für einander sind, und dass ihre gemeinsamen Interessen die bestehenden Differenzen bei weitem überwiegen. China unterstützt die strategische Souveränität Europas, und die chinesisch-europäischen Beziehungen sind nicht auf Dritte ausgerichtet, genauso wenig sind sie von Dritten abhängig oder diesen verpflichtet. 

Mit Blick auf geopolitische Krisen soll man zu Dialog und Kooperation aufrufen und den Umbrüchen der internationalen Lage mit der stabilisierenden Wirkung der chinesisch-europäischen Beziehungen entgegenwirken lassen. Um aus der Pandemie gestärkt herauszugehen, soll man die Entwicklungskonzepte und Politik enger aufeinander abstimmen und mit offener Zusammenarbeit das Wachstum der Weltwirtschaft stützen. Es kommt bei der Bewältigung globaler Herausforderungen darauf an, sich auf die Zukunftsthemen wie Klimawandel und nachhaltige Entwicklung zu fokussieren und Global Governance durch inhaltsreiche Dialoge zwischen China und Europa voranzutreiben. Dies ist zum einen die internationale Verantwortung, die China und Europa als zwei wichtige globale Akteure schultern sollten. Zum anderen stehen diese Forderungen auch absolut im Einklang mit den grundlegenden und langfristigen Interessen unserer beiden Seiten.

Liebe Stipendiatinnen und Stipendiaten!

Sie alle sind junge Eliten Ihres Heimatlandes, auf Ihren Schultern ruhen unsere Hoffnungen. Ich würde mir wünschen, dass es Ihnen in dieser Ära des Wandels, der Herausforderungen und der Chancen gelingt, über den Tellerrand hinauszublicken und die Trends der Geschichte zu erkennen. Ich hoffe, dass Sie aktiv beitragen werden zur Völkerverständigung und gegenseitigen Wertschätzung und zu einer respektvollen Zusammenarbeit auf Augenhöhe.

Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit! 

 —Es gilt das gesprochene Wort.—

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