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Botschafter Shi Mingde gab Manager Magazin ein Interview
2013-12-08 00:32

Am 05. Dezember veröffentlichte Manager Magazin das Interview mit Herrn Botschafter SHI Mingde über das Reformpaket, das auf dem Dritten Plenum des 18. ZK der KP Chinas verabschiedet wurde. Im folgenden das Interview im Wortlaut:

 
China hat die Rolle des Marktes neu definiert

Im Reformpaket der chinesischen Führung steckt viel mehr, als der Westen erwartet hat, sagt Shi Mingde. Der Botschafter der Volksrepublik China ist überzeugt: Peking wird die Zweiteilung zwischen dem städtischen und ländlichen China aufheben - mit weit reichenden Konsequenzen.

mm: Herr Botschafter Shi, Sie kommen gerade aus China zurück. Sie konnten die wichtige dritte Sitzung des Zentralkomittees der Kommunistischen Partei Chinas vor Ort verfolgen. Wie beurteilen Sie dessen Beschlüsse?

Shi: Das ist das umfassendste Reformpaket seit 1978, seit dem Beginn der Reformen unter Deng Xiaoping. Das gerade beschlossene Paket beinhaltet wirtschaftliche, aber auch politische Reformen. In ihm steckt viel mehr drin als viele im Westen erwartet haben. Am Anfang - unmittelbar nach Ende der Sitzung - waren viele westliche Beobachter enttäuscht. Aber das war doch nur das Kommunique, das die Richtung vorgibt. Mit dem - wenige Tage später veröffentlichten - 60-Punkte-Programm wurden wir dann viel konkreter.

mm: Warum jetzt ein solch umfassendes Reformprogramm?

Shi: Seit 1978 ist das Pro-Kopf-Einkommen in China von 200 auf 6000 Dollar gestiegen. Aber dieses Wachstum bescherte uns auch große Probleme. Schauen Sie sich unsere Umwelt an. Wir haben einen extensiven Ressourceneinsatz. Wir haben ein großes soziales Ungleichgewicht. Und wir haben ein großes regionales Gefälle: Unser Osten ist entwickelt wie die USA, einige Regionen in Mitte wie Südostasien, und im Westen wie Afrika. Das sind alles große Probleme. Im Westen hat man oft nur ein Problem dieser Größenordnung, zum Beispiel die USA mit ihrer Gesundheitsreform oder die Franzosen mit ihrer Erhöhung des Rentenalters. Schauen Sie sich da mal die Diskussionen und langwierigen Entscheidungsprozesse an.

mm: Sie müssen in ihrem politischen System nicht diskutieren und können schnell entscheiden ...

Shi: Es scheint nach außen so als seien wir in der Partei ein monolithischer Block. Wir haben das dritte Plenum monatelang vorbereitet und dabei viele Experten befragt. 2564 Vorschläge haben wir bekommen und 1120 Vorschläge, also ca. 40 Prozent blieben danach übrig. Auf den Plenum haben wir uns dann auf 60 Punkte geinigt.60 Punkte! Das sind tiefgreifende und fundamentale Reformen, die wir in den Jahren bis 2020 anpacken wollen. Am Ende dieses Reformprozesses wird ein neues China entstehen.

mm: Wie könnte dieses neue China aussehen?

Shi: Bislang gab es zwei Chinas - ein städtisches und ein ländliches China. Diese Trennung, diese Zweiteilung werden wir abschaffen. Seit kurzem leben in China zum erstenmal mehr Menschen in den Städten als auf dem Land. Der zentrale Punkt zur Überwindung der Zweiteilung ist der, dass die Wanderarbeitnehmer in den Städten mehr Rechte bekommen. Sie werden dort Anrechte auf Sozialleistungen und Bildung bekommen, was ihnen bislang vorenthalten wurde.

mm: Das kostet aber die Kommunen viel Geld, das sie bislang nicht haben. Denn ein Großteil der Steuereinnahmen kassiert derzeit Peking.

Shi: Deshalb werden wir eine Steuerreform durchführen. Die Kommunen werden mehr Steuereinnahmen bekommen, der Zentralstaat muss hingegen auf Einnahmen verzichten. Ausserdem werden die Staatsunternehmen stärker zur Kasse gebeten. Bislang mussten sie nur maximal 15 Prozent ihrer Gewinne an die Staatskasse abführen. Doch künftig sollen es 30 Prozent sein. Diese Gelder werden wir benutzen, um unser Sozialversicherungssystem auszubauen und zu verbessern. Die Leute werden dann weniger sparen und mehr konsumieren.

mm: Kommt es damit endlich zu dem schon seit längerem versprochenen Re-balancing der chinesischen Wirtschaft?

Shi: Bislang war in der Tat die Reihenfolge Investitionen, Export und dann der Konsum. Künftig wird es umgekehrt sein. Der Konsum wird an erster Stelle stehen. Die Wanderarbeitnehmer werden mehr konsumieren, ebenso die Bauern, die durch die geplante Landreform begünstigt werden. Und auch durch die Urbanisierung wird der Konsum steigen, denn Städter konsumieren nun mal mehr als die Landbevölkerung.

mm: Ein zentraler Punkt in dem neuen Reformpaket ist das Verhältnis zwischen Markt und Staat. Wie sieht da künftig die Balance aus?

Shi: Wir haben die Rolle des Marktes neu definiert. Der Markt wird künftig entscheidend sein - und zwar in allen Branchen. Der Staat wird nur noch Rahmebedingungen setzen.

mm: Das klingt wie einst im Godesberger Programm der SPD: Soviel Staat wie nötig, soviel Markt wie möglich ...

Shi: Es gibt schon einen Unterschied. Denn es wird immer Staatsunternehmen bei uns geben. Aber sie werden nicht - wie bisher - in einigen Sektoren dominieren. Es wird keine Monopole mehr geben. Im Bankensektor zum Beispiel wird private Konkurrenz zugelassen. Es wird künftig vielmehr ein Nebeneinander von öffentlichen und privaten Unternehmen geben. Und dabei werden die privaten Unternehmen gleich gestellt.

mm: Gilt das auch für ausländische Unternehmen?

Shi: Sie werden den chinesischen gleich gestellt. Für ausländische Firmen bieten sich künftig viele Chancen. Sie können nun in den bislang verschlossenen Bereichen Finanzen, Bildung, Kultur und Gesundheit investieren. Außerdem sind künftig Auslandsinvestitionen in Altenversorgung, Bauplanung, Wirtschaftsprüfung, Logistik und E-Commerce leichter möglich.

mm: Die meisten der angekündigten Reformvorhaben sind nicht mit einem konkreten Zeitplan verbunden. Warum nicht?

Shi: Wir wollen - wie einst Deng Xiaoping - pragmatisch vorgehen. Wir haben gerade die Freihandelszone in Shanghai eröffnet. Da experimentieren wir bereits mit vielen Reformen. Wenn das ein Erfolg wird, wird dieses Experiment in anderen Städten dupliziert.

mm: Wir haben bislang fast nur über die beschlossenen wirtschaftlichen Reformen geredet. Der Westen bemängelt, dass fast keine politische Reformen beschlossen wurden.

Shi: Die Ansicht ist falsch. Es wird auch zu politischen Reformen kommen. Wir schaffen zum Beispiel die - wie sie sie im Westen nennen - Arbeitslager ab. Die Zahl der Todesstrafen wird künftig deutlich zurückgehen. Die Rolle des Rechts soll gestärkt werden. Außerdem wollen wir mehr basisdemokratische Elemente einführen. Wir wollen zu einer konsultativen Demokratie werden.

mm: Also Mitreden darf die Bevölkerung, aber Mitentscheiden nicht?

Shi: Eine Demokratie nach westlichem Muster wird es nicht geben. Die Partei wird auch künftig die führende Rolle spielen. Wir sind ein großes Land mit 1,3 Milliarden Menschen. Da kann man nicht ewig mit allen diskutieren. Irgendwann müssen Entscheidungen fallen.

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