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Botschafter Wu Ken im Interview mit Handelsblatt
2020-02-28 16:57

Handelsblatt: Herr Wu, hat Chinas Regierung die Gefährlichkeit des Coronavirus unterschätzt?

Im Gegenteil. Die chinesische Regierung legt stets großen Wert auf die Bekämpfung der Epidemie. Der Gesundheit der Bevölkerung wird höchste Priorität eingeräumt. Wir haben die relevanten Informationen rechtzeitig bekanntgegeben und schnellstmöglich umfassendste, strengste und gründlichste Maßnahmen ergriffen. In Hinsicht auf Schnelligkeit, Härte sowie Umfang suchen diese Maßnahmen weltweit ihresgleichen.

Handelsblatt: Sie haben sich also nichts vorzuwerfen?

Am chinesischen Neujahrstag, Chinas wichtigstem Feiertag, rief Staatspräsident Xi Jinping persönlich eine Sondersitzung des Ständigen Ausschusses des Politbüros ein, die er auch selbst leitete. Er ordnete umfassende Koordinierungs- und Mobilisierungsmaßnahmen an. Wir haben sofort ein flächendeckendes und integratives System zur Prävention und Kontrolle landesweit eingerichtet, die am stärksten betroffenen Städte abgeriegelt, die Frühlingsfestferien verlängert sowie innerhalb von 15 Tagen zwei Spezialkrankenhäuser gebaut. Jetzt ist die Situation zwar immer noch sehr ernst, aber Präventions- und Kontrollmaßnahmen haben bereits erfreuliche Ergebnisse erzielt.

Handelsblatt: Welche Erkenntnisse über das Coronavirus hat China bereits?

Die aktuelle Epidemie wird durch ein neuartiges Virus verursacht. Daher ist ein Prozess der Erkennung und Identifizierung nötig. Im Fall einer Epidemie muss die Regierung verantwortungsvoll die Sachlage wissenschaftlich abwägen, erst dann kann eine Entscheidung getroffen werden. Aus dem Mangel an Erkenntnissen über das Virus in der Frühphase lässt sich jedenfalls nicht schlussfolgern, dass die Epidemie unterschätzt oder gar intransparent behandelt wurde. Zugleich werden wir selbstverständlich Erfahrungen gewissenhaft zusammenfassen und daraus Lektionen ziehen, um die vorhandenen Unzulänglichkeiten zu beseitigen und das System des öffentlichen Gesundheitswesens stetig zu verbessern.

Handelsblatt: Wann ist es realistisch, dass Peking Entwarnung gibt?

Dank harter Anstrengungen haben wir bei der Prävention und Kontrolle bereits erfreuliche Ergebnisse erzielt. Bis zum 26. Februar war die Zahl der bestätigten Neuerkrankungen landesweit seit mehreren Tagen rückläufig. Die Zahl der Genesungsfälle steigt rasant an. Inzwischen sind schon mehr als 32.000 Infizierte genesen und aus dem Krankenhaus entlassen worden. Diese Fakten und Zahlen sprechen eindeutig dafür, dass die Maßnahmen Chinas richtig und wirksam sind. Im Großen und Ganzen ist diese Krankheit beherrschbar und heilbar. Chinesische Experten gehen davon aus, dass die Epidemie im April wirksam unter Kontrolle gebracht werden kann.

Handelsblatt: Haben Sie aktuelle Zahlen über Infizierte und Tote in China?

Der neuesten Statistik der Nationalen Gesundheitskommission zufolge gab es bis zum 26. Februar insgesamt 78.497 bestätigte Infektionsfälle, davon waren 2.744 Todesfälle. Die chinesische Regierung informiert stets in offener, transparenter und verantwortungsbewusster Weise die chinesische und die internationale Öffentlichkeit über die aktuelle Entwicklung der Covid19-Epidemie. Dies wird von der WHO und der internationalen Gemeinschaft in hohem Maße gewürdigt. Tagtäglich halten die Gesundheitsbehörden Pressekonferenzen ab und geben aktuelle Zahlen der Infektionsfälle jeder Provinz bekannt. Diese Daten kann man einfach jederzeit auf Handy-Apps abrufen. Wir sind uns völlig bewusst, dass offene, transparente und korrekte Zahlen starke Waffen gegen eine Epidemie sind, von denen wir unbedingt Gebrauch machen müssen.

Handelsblatt: Neben den gesundheitlichen Problemen sind die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft jetzt schon zu spüren. Messen werden weltweit abgesagt, und in Deutschland macht man sich Sorgen um die Lieferketten. Wie wird das in China diskutiert?

Wir haben erfahren, dass in letzter Zeit einige internationale Messen verschoben oder abgesagt wurden und dass einige deutsche Unternehmen befürchten, dass die Epidemie die Lieferkette behindern und die Produktion beeinträchtigen wird. Zeitgleich zu Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie unterstützen und fördern wir derzeit aktiv die Wiederaufnahme der Produktion in Unternehmen. Mittlerweile haben die meisten großen Unternehmen in Schlüsselregionen Chinas ihre Arbeit wieder aufgenommen. Statistiken zufolge liegt die Wiederaufnahmequote unter Erdöl- und Petrochemieunternehmen bei 96,8 Prozent, unter Stromversorgungsunternehmen bei 83 Prozent. Die zivile Luftfahrt sowie Eisenbahn- und Wassertransportnetze funktionieren alle normal. Außerdem haben ausländische Unternehmen wie Audi, BMW, Tesla und Airbus sowie 90 Prozent der in Schanghai ansässigen Fortune-500-Konzerne ihre Produktion wieder aufgenommen.

Handelsblatt: Deutschland sorgt sich vor allem auch um die Lieferketten.

Im Zuge der großflächigen Wiederbelebung von Logistik und Transport erholen sich auch die Lieferketten, und die Exportunternehmen produzieren allmählich wieder normal. Die Situation des Außenhandels wird sich nach und nach verbessern. Ich möchte insbesondere darauf hinweisen, dass sich viele ausländische Unternehmen wie Volkswagen und Siemens vor Kurzem sehr zuversichtlich geäußert haben, dass China diese Schwierigkeiten überwinden und weiterhin eine gesunde und stabile wirtschaftliche Entwicklung aufrechterhalten wird. Die Epidemie hat keinen Einfluss auf ihre Entschlossenheit und ihr Vertrauen, weiter in China zu investieren und Geschäfte zu führen. Neben dem Faktor China hängen die Auswirkungen der Epidemie auf die Weltwirtschaft auch davon ab, wie andere Länder darauf reagieren. Die WHO hat wiederholt betont, dass sie keine Reise- oder Handelsbeschränkungen gegenüber China empfiehlt, was die Panik nur verstärken würde. Wir hoffen, dass alle Länder rational mit der Situation umgehen und die Epidemie gemeinsam bekämpfen.

Handelsblatt: Für chinesische Verhältnisse fiel das Wachstum schon bislang nicht so gut wie in den vergangenen Jahren aus. Wie groß schätzt die Regierung die Wachstumsdelle durch das Coronavirus ein?

In den letzten Jahren hat die chinesische Wirtschaft ihr Entwicklungsmodell transformiert und ihre Wirtschaftsstruktur optimiert. Qualität und Effizienz wurden gesteigert, und Chinas Wirtschaft ist von einer schnellen Wachstumsphase zu einer hochwertigen Entwicklungsphase übergegangen. Die Wachstumsrate an sich mag sich zwar verlangsamt haben, der Goldgehalt des Wachstums steigt jedoch stetig an. Dies bedeutet mehr Chancen für den Markt sowie für Investitionen und Zusammenarbeit.

Handelsblatt: China hält also am Reformweg fest?

Die derzeitige Epidemie hat die wirtschaftliche Entwicklung Chinas zweifellos vor Herausforderungen gestellt, aber insgesamt sind die Auswirkungen nur vorübergehend, und sie sind auch begrenzt und kontrollierbar. Sie werden den langfristigen Trend der Wirtschaft Chinas nicht ändern und den enormen Markt mit 1,4 Milliarden Menschen nicht schwächen. China wird auch weiterhin unerschütterlich an der Vertiefung von Reform und Öffnung festhalten. Die Wirtschaft Chinas ist resilient, die Binnennachfrage ist groß und die industrielle Basis solide. Sobald die Epidemie unter Kontrolle ist, werden wir eine schnelle Steigerung der Kosumnachfrage sowie eine Entfaltung des enormen Wachstumspotenzials sehen, davon bin ich überzeugt. Chinas wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung wird dann auf einem noch gesünderen und nachhaltigeren Weg weiter voranschreiten.

Handelsblatt: Welche wirtschafts- oder finanzpolitischen Stützungsmaßnahmen ergreift Peking?

Die chinesische Regierung verfügt über genügend Spielraum vonseiten der Politik, um auf diese Epidemie zu reagieren und die Wirtschaft anzukurbeln. Die chinesische Zentralbank hat dem Markt bereits Liquidität in Höhe von 1,7 Billionen Yuan zur Verfügung gestellt. Die Zentral- und Kommunalverwaltungen haben darüber hinaus verschiedene Maßnahmen ergriffen, um Unternehmen, insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen, zu helfen, die Krise zu überstehen.

Handelsblatt: Wie sieht die Hilfe für die Unternehmen aus?

Die finanzielle Unterstützung für Unternehmen wurde erhöht. Vor Kurzem haben die Banken bereits Kredite in Höhe von über 740 Milliarden Yuan bereitgestellt. Hinzu werden noch weitere 500 Milliarden Yuan kommen. Zweitens wurde eine phasenweise Reduzierung, Erlassung oder wurden auch Zahlungsaufschübe von Sozialversicherungsbeiträgen und anderen Ausgaben der Unternehmen beschlossen, um deren Belastung zu verringern. Eine dritte Maßnahme besteht darin, die Wiederaufnahme der Produktion in unterschiedlichen Regionen nach der wissenschaftlichen Klassifizierung zu unterstützen, um die Stabilität von Gesellschaft und Wirtschaft sicherzustellen.

Handelsblatt: Die chinesische Bevölkerung ist auch beunruhigt. Wie geht die Regierung mit dieser sensiblen Lage um?

Ein unbekanntes Virus kann zunächst zu Verunsicherung führen, egal, wo es passiert ist. Aber Panik ist noch viel schlimmer als ein Virus, und sie ist bei der Bekämpfung des Virus kontraproduktiv. Um die Menschen zu beruhigen, bedarf es jedoch durchgreifender Bekämpfungsmaßnahmen sowie Transparenz und Offenheit in Bezug auf Informationen. Die zuständigen chinesischen Behörden geben täglich Pressekonferenzen, um die Öffentlichkeit zeitnah über die neuesten Daten und Situation zu informieren. Angesichts dieser Epidemie zeigt die chinesische Bevölkerung nicht nur größtmögliches Verständnis, sondern auch Vertrauen und die größte Unterstützung gegenüber der Regierung. Die Bürger bleiben bewusst in ihren Häusern, mehr als 30.000 medizinische Fachkräfte sind nach Wuhan gereist, und Menschen aus allen Branchen der Gesellschaft unterstützen einander.

Handelsblatt: Wie hat die Wirtschaft auf die neue Situation reagiert?

Seit dem Ausbruch der Epidemie haben sich neue Geschäftsmodelle wie Online-Bildung, Telemedizin und Homeoffice rasant entwickelt. Konzepte wie unbemannter Einzelhandel und kontaktloser Vertrieb sind entstanden, um die Bedürfnisse des täglichen Lebens der Menschen zu befriedigen und eine ausreichende gesellschaftliche Versorgung sicherzustellen.

Handelsblatt: Stehen Sie in Kontakt mit der Bundesregierung, um die Gefahr hier im Land einzudämmen?

Wir haben die WHO und die internationale Gemeinschaft stets offen und transparent informiert – und auf internationaler Ebene mit Ländern wie Deutschland zusammengearbeitet. Die chinesische Seite hat Deutschland rechtzeitig über den betroffenen Infektionsfall informiert und Unterstützung für eine schnelle Erkennung und Isolierung von Infektionsfällen dort geleistet. Chinas Bemühungen und Maßnahmen haben eine Ausbreitung der Epidemie auf andere Länder wirksam verhindert. WHO-Generaldirektor Dr. Tedros wies darauf hin, dass China tatsächlich einen neuen Maßstab für die Bekämpfung der Epidemie gesetzt hat, und er zeigte sich zuversichtlich, dass diese Epidemie eingedämmt wird.

Handelsblatt: Wie sieht der Kontakt konkret aus?

Die Führungspersönlichkeiten von China und Deutschland sind seit Ausbruch der Epidemie in engem Kontakt. Die deutsche Regierung und die deutsche Bevölkerung haben medizinische und materielle Unterstützung geleistet. China wiederum hat Deutschland bei der Evakuierung von Bundesbürgern geholfen. Medizinische Experten aus beiden Ländern stehen in professionellem Austausch. Menschen aus ganz Deutschland haben ihre Unterstützung und Ermutigung für Wuhan und China zum Ausdruck gebracht. Kürzlich hat Staatsrat Wang Yi im Rahmen seines Besuchs der Münchner Sicherheitskonferenz mit führenden deutschen Politikern über die Situation der Epidemie in China gesprochen. Viren kennen keine Grenzen. In diesem gemeinsamen Kampf um den Schutz der menschlichen Gesundheit weltweit sind gegenseitiges Verständnis, gegenseitiges Vertrauen und gegenseitige Unterstützung über nationale Grenzen hinweg unabdingbar. An dieser Stelle möchte ich der Bundesregierung und den Menschen in Deutschland für ihr Verständnis und ihre Unterstützung danken.

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