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Wir möchten keinen Krieg, fürchten ihn aber auch nicht
Beitrag von Botschafter Wu Ken in der „Welt"
2019-06-25 16:26

Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet die Supermacht, die einst die Freihandelsordnung gegründet und angeführt hat, und eigentlich die Welt in Richtung einer offenen Entwicklung leiten sollte, heute im Rahmen einer „America First" -Politik zur Einschüchterung mit Zöllen droht, maximalen Druck ausübt, und immer wieder gegen ihre wichtigsten Handelspartner, darunter auch China, vorgeht.

In einer Zeit der Globalisierung, in der nationale Ökonomien immer mehr zusammenwachsen, geht es beim Handelskonflikt zwischen China und den USA um die Interessen aller. Protektionismus und Unilateralismus seitens der USA stören die globalen Wertschöpfungs-, Industrie- und Lieferketten. Gleichzeitig wirken sie sich in hohem Maße destruktiv auf das multilaterale Handelssystem aus und verstoßen gegen die Regeln der WTO. Darüber hinaus stellen sie die Konjunktur der Weltwirtschaft vor ernsthafte Herausforderungen. Nach Berechnungen der Deutschen Bank hat der chinesisch-amerikanische Handelskonflikt seit 2018 zu einem Verlust von 5 Billionen US-Dollar am amerikanischen Aktienmarkt geführt. Der Export landwirtschaftlicher Produkte aus den USA nach China ist im Vergleich zum Vorjahr um ein Drittel zurückgegangen. Allein im Mittleren Westen der USA haben bereits 84 landwirtschaftliche Betriebe Insolvenz angemeldet, was einen neuen Rekord seit der Finanzkrise darstellt. Die WTO hat ihre Wachstumsprognose für den weltweiten Handel im Jahr 2019 bereits von 3,7 auf 2,6 Prozent korrigiert, und in ihrem neuen Bericht zur Entwicklung der Weltwirtschaft prognostiziert die OECD, dass bei einer Eskalation des chinesisch-amerikanischen Handelskonfliktes ein Verlust des weltweiten Bruttoinlandsproduktes im Wert von 600 Milliarden Dollar für die Jahre 2021/2022 verursacht wird.

Vor mehr als einem Jahr stellten die USA die so genannte „Schadenstheorie" auf, dass die USA immer von China bevorteilt werden, und machten sie zum Grund für den Handelskrieg gegen China. Wenn man nun unbedingt von einem Schaden für die USA sprechen will, dann muss man meiner Meinung nach auch sagen, dass die Mittel- und Unterschicht in den USA in den vergangenen Jahrzehnten durch das irrationale Streben der amerikanischen Finanzindustrie nach Profit und durch die ungerechte Verteilung des Wohlstands Schaden genommen haben. Die USA sind de facto die Weltwirtschaftsmacht Nummer eins. Sie stehen an der Spitze der weltweiten Wertschöpfungs- und Industrieketten, und beherrschen in den Bereichen Technik, F&E und Marketing die Segmente mit dem höchsten Mehrwertpotenzial, und das mit enormen Gewinnen. Amerikanische Unternehmen haben allein im Jahr 2017 in China Umsätze von mehr als 700 Milliarden Dollar erzielt und einen Gewinn von über 50 Milliarden Dollar erwirtschaftet. Sie haben also die Chancen und Möglichkeiten der chinesischen Entwicklung reichlich genutzt.

Die chinesisch-amerikanischen Handelsgespräche haben einen großen Rückschlag erlitten, aber die Verantwortung hierfür liegt nicht bei China, sondern bei den USA. Um immer noch größere politische und wirtschaftliche Vorteile zu erzielen, wurde die „Schadenstheorie" als Vorwand genutzt, um das eigene Wort zu brechen. „Wenn man nun aber sein Wort nicht hält, was ist man dann noch wert?", so fragte der chinesische Weise Konfuzius. Menschliches Miteinander basiert auf Ehrlichkeit und Vertrauen, und dies gilt auch für die zwischenstaatlichen Beziehungen.

Das bringt uns jedoch zur Einsicht, dass die USA bei der Durchsetzung eigener Interessen und Ziele durchaus bereit sind, geltende Regeln zu missachten, Tatsachen zu verdrehen und Lügen zu fabrizieren. Wenn nötig, wird China beschuldigt, die amerikanische Bevölkerung „beraubt" zu haben. Wenn nötig, werden die Produkte vom privaten chinesischen Unternehmen grundlos als „Sicherheitsrisiko" eingestuft; und natürlich wird bei Bedarf auch die europäische Autoindustrie zu einer Bedrohung für die „nationale Sicherheit der USA".

Angesichts des von den USA einseitig angezettelten Handelskrieges ist die chinesische Haltung klar und eindeutig: wir möchten keinen Krieg, fürchten ihn aber auch nicht. Wenn die amerikanische Seite auf Augenhöhe verhandeln möchte, steht ihr unsere Tür weit offen. Wenn die USA aber unbeirrt den Handelskonflikt eskalieren lassen, dann werden wir diesen Kampf bis zum Ende austragen.

Unabhängig davon, wie sich die Lage weiterentwickelt, wird China sich weiterhin auf seine eigenen Angelegenheiten konzentrieren, an der Reform und Öffnung festhalten und Kooperation zum gegenseitigen Nutzen weiter voranbringen. So haben wir die Importzölle bereits deutlich gesenkt und nicht tarifäre Handelshemmnisse abgebaut. Mit der Verkürzung der Negativliste haben wir den Zugang für ausländische Investoren deutlich verbessert. Mit dem baldigen Inkrafttreten des neuen Gesetzes für auswärtige Investitionen wird das Geschäftsumfeld für ausländische Firmen noch weiter optimiert. Deutsche Unternehmen sind die ersten Zeugen dieser neuen chinesischen Öffnungsmaßnahmen: BASF plant in Guangdong Investitionen von 10 Milliarden Dollar für den Aufbau eines neuen Verbundtandorts, der dem Konzern zu 100 Prozent gehört. Die Allianz wird als erster ausländischer Versicherer in China eine Holding gründen, an der kein chinesisches Unternehmen beteiligt ist. Und BMW hat beschlossen, seinen Anteil an seinem Joint Venture in China bis 2022 auf 75 Prozent zu erhöhen.

Ende dieses Monats wird in Osaka der G-20-Gipfel stattfinden. In den vergangenen 10 Jahren hat sich der G-20-Gipfel stetig weiterentwickelt und steht für die erfolgreiche internationale Zusammenarbeit auch in schwieriger Zeit. Zu Beginn des zweiten G-20-Jahrzehnts wird der Gipfel in Osaka eine nützliche Plattform für die Kooperation aller Länder bei der Bewältigung von Herausforderungen, den konstruktiven Umgang mit Differenzen, die Stärkung einer makroökonomischen Politik und den Aufbau einer offenen Weltwirtschaft bieten. Ich erwarte, dass China und Deutschland als jeweils größte Wirtschafts- und Handelsnation in Asien bzw. Europa weiter gemeinsam für den Multilateralismus und freien Handel eintreten werden.

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