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Interview mit dem Botschafter der VR China, S. E. Herrn Shi Mingde von Wirtschaft+Markt Magazin
2017-05-03 21:26

 

 

Interview mit dem Botschafter der VR China, S. E. Herrn Shi Mingde

W+M: Exzellenz, wie bewerten Sie den aktuellen Stand der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen China und Deutschland?

Die Zusammenarbeit in Wirtschaft und Handel ist sei jeher der Stabilitätsanker der chinesisch-deutschen Beziehungen. Nach deutschen Statistiken belief sich das Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern im Jahre 2016 auf etwa 170 Mrd. Euro. China ist erstmals zu Deutschlands weltweit größtem Handelspartner geworden. Nach chinesischen Daten haben sich rund 8200 deutsche Firmen in China niedergelassen, und mehr als 2000 chinesische Unternehmen haben in Deutschland Fuß gefasst. Die Investitionen der beiden Länder wandeln sich von der früheren Einbahnstraße, auf der überwiegend die deutsche Seite in China investierte, in Bahnen, die in beide Richtungen führen.

W+M: Auf welchen Gebieten wünscht sich China eine weitere Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Deutschland?

Die chinesisch-deutsche Zusammenarbeit in Wirtschaft und Handel hat bereits ein hohes Niveau erreicht, birgt aber immer noch ein großes Potenzial. In Bereichen wie der vertieften Verknüpfung von „Made in China 2025“ mit der deutschen „Industrie 4.0“, der intensiveren Teilnahme an chinesischer Initiative “ Neue Seidenstraße”, der gemeinsamen Teilnahme an Ausschreibungen für Neubau- und Erweiterungsinvestitionen auf Drittmärkten, der Energieeinsparung und dem Umweltschutz sowie dem Innovations- und Pioniergeist junger Menschen sind beide Seiten gerade dabei, zum gegenseitigen Vorteil neue Wege der Zusammenarbeit zu erschließen.

W+M: Welchen Ruf genießen deutsche Erzeugnisse in China?

„Made in Germany“ hat in China einen sehr guten Klang. Die Leute dort betrachten solche Erzeugnisse meist als haltbar, zuverlässig, sicher und genau. Die deutschen Industrieunternehmen haben im Laufe ihrer Entwicklung im Kern ihre Wettbewerbsfähigkeit bewahrt und sich an die unterschiedliche Nachfrage der Märkte und der Kunden angepasst. Diese Erfahrungen haben für die Entwicklung der chinesischen Fertigungsindustrie wichtige Hinweise und Bezugspunkte geliefert.

W+M: In den letzten Jahren hat es eine erhebliche Zunahme von Investitionen chinesischer Unternehmen in deutsche Unternehmen gegeben. Hat sich diese Strategie für die chinesische Volkswirtschaft bereits ausgezahlt?

In den letzten Jahren hat das Wachstum der Investitionen chinesischer Betriebe in Fusionen und Übernahmen in Deutschland relativ rasch zugenommen, doch verglichen mit anderen Staaten in Amerika und Europa ist das Ausmaß der chinesischen Investitionen in Deutschland nach wie vor recht bescheiden und macht einen Anteil von weniger als 1% am Gesamtvolumen der Auslandsinvestitionen in Deutschland aus. Wenn chinesische Firmen nach Deutschland kommen und hier in Fusionen und Übernahmen investieren, geschieht dies mit Blick auf die langfristige Entwicklung und folgt den Verhaltensmustern der Marktwirtschaft. Daraus ergeben sich nicht nur Vorteile für die globale Diversifizierung der chinesischen Unternehmen, sondern auch für die deutschen Unternehmen die dringend benötigten Kapitalspritzen und Vertriebswege, so dass man von wechselseitigen Vorteilen und einer Win-Win-Situation sprechen kann.

W+M: In Deutschland hat sich die gestiegene Innovationskraft und Leistungsfähigkeit chinesischer Unternehmen noch nicht überall herumgesprochen. Daher werden chinesische Investments bei uns mitunter noch von Argwohn begleitet. Wie erklären Sie sich das?

China wurde in der Vergangenheit stets als die „Werkbank der Welt“ bezeichnet, die Fähigkeiten zu Innovation und Forschung kamen dagegen zu kurz. Diese Situation verändert sich gerade rapide, Chinas Fähigkeit zu selbstbestimmter Innovation steigt stetig an. In einem weltweiten Ranking zur Innovationsfähigkeit der einzelnen Länder belegt China inzwischen bereits den 18. Platz. In Bereichen wie der Luft- und Raumfahrt, dem Internet und der Datentechnik hat es sogar weltweit eine Führungsrolle übernommen. Manche Menschen befürchten, dass von chinesischen Unternehmen übernommene Betriebe geschlossen werden und dass die Technik entführt wird. In Wirklichkeit verhält es sich jedoch genau umgekehrt, da die chinesischen Unternehmen mit ihren Investitionen in Deutschland zusätzliche Arbeitsplätze schaffen, der Firma den Zugang zum chinesischen Markt eröffnen und neue Entwicklungschancen mitbringen.

W+M: Da sich unser Magazin auf Ostdeutschland fokussiert, interessiert uns natürlich, welche Branchen und Regionen in den neuen Bundesländern besonders interessant für chinesische Firmen sind?

In den mehr als zwei Jahrzehnten seit der Wiedervereinigung der beiden Teile Deutschlands haben die neuen Bundesländer im Ausbau der Infrastruktur und in der industriellen Aufrüstung riesige Fortschritte gemacht, so dass ihre Attraktivität für ausländische Investitionen stetig gestiegen ist. Die neuen Bundesländer verfügen über beträchtliche Vorzüge. Zum Beispiel haben sie auf der Grundlage der konkreten Gegebenheiten eine ganze Reihe von politischen Maßnahmen zur Begünstigung ausländischen Kapitals verfügt und gebieten über ein vergleichsweise großes Entwicklungspotenzial, eine günstige Verkehrslage, niedrige Boden- und Mietpreise, ein gesundes industrielles Fundament sowie im Vergleich zum Westen relativ niedrige Personalkosten. Besonders im Blickpunkt chinesischer Investoren stehen im Augenblick Sparten wie die Fahrzeugindustrie, die chemische Industrie, Medizin und Pharmakologie, Maschinen und Ausrüstungen, saubere Energien und Biotechnologie. Chinesische Investoren interessieren sich zunehmend für den Osten Deutschlands, ihre Kenntnisse werden immer umfangreicher, und es eröffnen sich immer neue Geschäftsfelder.

W+M: Gibt es Kooperationen zwischen chinesischen und ostdeutschen Unternehmen aus jüngster Vergangenheit, die an dieser Stelle als positive Leuchttürme herausgehoben werden sollten?

Nach Statistiken der chinesischen Seite gibt es inzwischen bereits rund 100 chinesische Firmen, die in den sechs neuen Bundesländern investiert haben, davon die Hälfte in Berlin, die andere Hälfte in den übrigen fünf Bundesländern. Insgesamt belaufen sich diese Investitionen auf etwa 1,1 Mrd. Euro. In den letzten Jahren hat sich bei chinesischen Unternehmen der Trend zu Investitionen im Osten deutlich verstärkt. So hat zum Beispiel Chinas größter chinesischer Anbieter für aseptische Verpackungsmaterialien, die Firma Greatview Packaging, die erste Fabrik im Ausland just in der Stadt Halle in Sachsen-Anhalt errichtet. Zudem wurde, als in Frankfurt an der Oder 2013 das dortige größte Komponentenwerk der Photovoltaik-Firma Conergy in Insolvenz ging, dieses Werk erfolgreich von der Chint-Gruppe übernommen. Der Stadtrat beschloss in aller Form, die Straße, an welcher die Fabrik liegt, in Chint-Allee umzubenennen. Das chinesisch-schweizerische Gemeinschaftsunternehmen Molinari Rail kaufte die über eine 120-jährige Geschichte verfügende FTD Fahrzeugtechnik Bahnen Dessau GmbH auf. Mit diesem Projekt wurde eine neue Form der Zusammenarbeit zwischen China, der Schweiz und Deutschland geschaffen, um gemeinsam die internationalen Märkte zu erschließen.

W+M: Die ostdeutsche Wirtschaft ist stark mittelständisch geprägt. Dennoch drängen auch viele dieser kleinen Unternehmen mit ihren innovativen Produkten auf ausländische Märkte. Was raten Sie mittelständischen Unternehmern zwischen Rostock und Erfurt, die auf dem chinesischen Markt Fuß fassen möchten?

Wenn mittelständische und kleine Unternehmen den chinesischen Markt erschließen wollen, ist meines Erachtens der Chinahandel nur ein Aspekt. Noch wichtiger ist es, China und die Bedürfnisse der chinesischen Entwicklung zu verstehen, im chinesischen Markt Fuß zu fassen, also vor Ort in den Bau von Fabriken zu investieren und dort Präsenz zu zeigen. Sie müssen an Ort und Stelle die Bedürfnisse der chinesischen Verbraucher kennenlernen und Produkte entwickeln, die auf die besonderen Konsumgewohnheiten des chinesischen Marktes abgestimmt sind. Deutsche Unternehmen genießen in China einen hervorragenden Ruf, und alle lokalen Regierungen heißen Investitionen von deutscher Seite noch viel eher willkommen als aus jedem anderen Land. Die chinesischen und die deutschen Regierungen wie auch Handelskammern haben bereits zahlreiche Foren geschaffen und schlagen vor, dass sie mit investitionswilligen chinesischen Firmen noch engere Formen der Kooperation aufbauen. Auch die chinesische Botschaft in Deutschland ist willens, den Osten noch stärker bei der Förderung der Zusammenarbeit mit China zu unterstützen.

W+M: Sie haben in der DDR studiert und seither in verschiedenen Funktionen insgesamt 25 Jahre in Deutschland gearbeitet. Sie gelten als exzellenter Kenner unseres Landes. Gibt es Orte und Lebensgewohnheiten (z. B. regionale Küche oder regionale Bräuche) speziell in Ostdeutschland, die Sie besonders schätzen?

Ich habe sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland gearbeitet und gelebt und bin mit eigenen Augen in Berlin Zeuge der Wiedervereinigung der beiden Teile Deutschlands geworden. Das war für mich eine sehr wertvolle und bereichernde Erfahrung. Ich habe sehr viele Orte im Osten Deutschlands besucht und die Möglichkeit gehabt, mir ein Bild von den einzigartigen lokalen Sitten und Gebräuchen sowie der traditionellen Kultur zu machen. Besonders lebhaft sind mir der Karneval in Berlin, die Museen in Dresden, die Musik und das Theater in Leipzig, das Schloss Sanssouci in Potsdam sowie die schönen Landschaften in Harz und Erzgebirge in Erinnerung geblieben. Ein Eisbein in Berlin, eine Bratwurst in Thüringen und ein Radeberger Bier gehören zu den von mir bevorzugten kulinarischen Spezialitäten des Ostens. Mit dem diesjährigen 45. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen China und Deutschland verbindet sich die Hoffnung, dass unsere beiden Länder den Austausch auf kulturellem Gebiet unablässig verstärken und damit die traditionelle Freundschaft zwischen unseren zwei Ländern weiter festigen.

Interview: Karsten Hintzmann

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