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Botschafter Shi Mingde gab Neues Deutschland ein Interview
2016-04-27 21:48

Herr Botschafter, Sie leben schon lange hier, sind Sie ein Berliner geworden?

Ich habe zwölf Jahre in der DDR verbracht, im vereinigten Deutschland bis heute auch zwölf Jahre. Die längste Zeit war ich in Berlin und fühle mich hier fast wie zu Hause. Ich bin ein Zeuge der Wende in der DDR. Damals hatten wir große Differenzen mit der SED-Führung über die Notwendigkeit der Reform des politischen und Wirtschaftssystems. China begann damit 1978, nahm Abschied vom sowjetischen Modell, ging den Weg eines Sozialismus chinesischer Prägung. Das ist der Grund, warum es erfolgreich geblieben ist.

Im März hat der Volkskongress wieder ein Reformprogramm vorgelegt?

Die »Politik der Reform und der Öffnung« hat China so weit gebracht, dass es in den vergangenen 35 Jahren jährlich ein zweistelliges Wachstum erreichte. China ist jetzt die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt mit einem Bruttoinlandsprodukt von mehr als zehn Billionen US-Dollar. Pro Kopf lag es vor 35 Jahren nur bei 200 US-Dollar, jetzt sind es rund 8000 US-Dollar pro Kopf. Diese Erfolge beruhten in erster Linie auf Wachstum, dem Mehrverbrauch von Ressourcen. Dieses Entwicklungsmodell hat sich erschöpft. Der Lebensstandard hat sich verbessert, die Umweltsituation hat sich verschlechtert.

Der Smog in Peking.

Vor zehn Jahren gab es in Peking fünf Millionen Radfahrer, jetzt fahren dort 5,6 Millionen Autos. In Shanghai, einer fast 30-Millionen-Stadt, sind die meisten Flüsse und Seen verunreinigt. Wir verbrauchen für dasselbe Produkt viermal soviel Energie wie Europa. Deshalb ist die "Grüne Entwicklung" als Schwerpunkt im 13. Fünfjahresprogramm festgeschrieben. China als bevölkerungsreichstes Land will umweltfreundlicher werden und auch den Ausstoß an Klimagasen verringern.

Wie geht es mit der Wirtschaft weiter?

Wir haben gerade den 13. Fünfjahresprogramm verabschiedet. Wir wollen ein nachhaltiges Wachstum und haben uns bis 2020 ein jährliches Wachstum von mehr als 6,5 Prozent als Ziel gesetzt. Da schreit die ganze Welt »Stagnation!«. Aber die USA haben zwei Prozent, Europa 0,7, Deutschland 1,7 Prozent und Japan minus. Aus China kommen positive Signale neulich beim Ex- und Import. Dafür klatschen aber viele Analysten wieder Beifall.

In China gibt es 568 Milliardäre, das sind 33 mehr als in den USA, doch es ist ein kommunistisches Land?

Der Sinn des Sozialismus ist, allen zu mehr Wohlstand zu verhelfen. Das haben wir erreicht. Die Lebenserwartung der Chinesen ist von 36 Jahren auf 75 Jahre gestiegen. Mehr als 400 Millionen Menschen wurden aus der Armut befreit, wobei im Moment noch fast 60 Millionen Menschen mit weniger als einem Dollar an einem Tag auskommen müssen. Aber wir haben neun Jahre Schulpflicht eingeführt und Eltern müssen für diese Bildung nicht zahlen. Es gibt ein flächendeckendes Renten- und Krankenversicherungssystem. Es geht also allen besser, aber einer kleinen Minderheit viel besser. Wir sind uns bewusst, diese Unterschiede abzubauen und in Grenzen halten zu müssen.

Was können Sie von Berlin aus für die Reformpolitik tun?

Die chinesisch-deutschen Beziehungen haben sich im großen und ganzen sehr gut entwickelt. Der Handel mit Deutschland macht fast 30 Prozent des gesamten China-EU-Handels aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel war schon achtmal in China, Bundespräsidenten Gauck habe ich kürzlich bei seinem ersten China-Besuch begleitet.

Er ist kein Freund der Kommunisten.

Aber er soll auch den Sozialismus chinesischer Prägung kennenlernen. Ich glaube, er ist mit bestimmten Vorstellungen nach China gekommen, hat es aber mit völlig neuen Eindrücken verlassen. Vor 2000 Jahren hat der erste Kaiser China vereinigt. Es ist schon wichtig zu wissen, dass seitdem in China die Zentralverwaltung herrscht. Er hat Shanghai kennengelernt. Dort stehen mehr als 4000 Hochhäuser mit mehr als 30 Stockwerken, und 80 Prozent der Wohnungen im Lande sind Eigentumswohnungen.

Welche Projekte verfolgt China mit Deutschland gemeinsam?

Eine Partnerschaft der Innovation wurde im Vorjahr vereinbart und beschlossen, die Strategien »Industrie 4.0« und »Made in China 2025« zu verbinden. Gemeinsame Projekte werden entlang der neuen Seidenstraße verwirklicht. Deutschland und China sind die größten Volkswirtschaften an deren beiden Enden.

Die Seidenstraße wird sie also verbinden?

Die neue Seidenstraße führt zu Lande von China über Russland, Zentralasien und Staaten der früheren Sowjetunion bis nach Europa. Zwei Eisenbahnlinien enden in Deutschland. Entlang der Seidenstraße zu Land und zu Wasser liegen mehr als 60 Länder mit vier Milliarden Einwohnern.

Handel und Wandel sind die friedliche Seite. Andererseits wird Peking eine aggressive Politik im Südchinesischen Meer vorgeworfen.

Derartige Behauptungen entbehren jeder Grundlage. Das Gebiet heißt Südchinesisches Meer und gehört seit jeher zum chinesischen Territorium. Kein anderer Staat hat darauf bis Ende der 1970er Jahre Anspruch erhoben. In Regierungsdokumenten haben Anrainerstaaten wie die Philippinen und Vietnam anerkannt, dass dieses Gebiet zu China gehört. Dann ist diesen Staaten bewusst geworden, dass auf dem Meeresgrund Naturressourcen lagern, und in den frühen 1980er Jahren wurden diese Fragen politisch hochgespielt. Wir wollen politisch und diplomatisch die Streitigkeiten im Dialog beilegen und können diese Gebiete gemeinsam erschließen. Es gibt aber Staaten außerhalb dieser Region mit geostrategischen Interessen. Auch solche, die sich gerne einmischen und Nachbarländer gegen China ausspielen wollen.

Wie die USA?

Die Amerikaner behaupten, dass sie für die freie Schifffahrt eintreten. Aber die ist dort jederzeit gewährleistet. Das liegt im ureigensten Interesse Chinas, schon weil mehr als 90 Prozent der Rohstofftransporte über das Südchinesische Meer erfolgen. Die Amerikaner suchen nur einen Vorwand, sich einzumischen. Sie schicken Flugzeugträger und strategische Bomber in die Region, um ihre Vorherrschaft zu demonstrieren. Darauf müssen wir reagieren und uns verteidigen.

Wie weit kann man dabei gehen?

Es ist Chinas Recht, Einrichtungen auf Inseln zum friedlichen Zweck aufzubauen. Aber wir wollen Kooperation statt keine Konfrontation. Das hat unser Staatspräsident Xi Jinping beim letzten Treffen mit US-Präsident Barack Obama bekräftigt.

Auf der koreanischen Halbinsel testet die KDVR Atomwaffen und Raketen. Welchen Einfluss kann China nehmen?

Wir dulden keine Atomwaffen auf der koreanischen Halbinsel. Wir sind dagegen, dass Nordkorea, Südkorea oder Japan darüber verfügen. Seit mehr als zehn Jahren bemühen wir uns, die Sechs-Parteien-Gespräche mit Nordkorea und den Nachbarstaaten Südkorea, China und Russland sowie Japan und den USA in Gang zu setzen. Wir haben uns jedes Mal gegen nordkoreanische Atomtests ausgesprochen und, die Resolution des Sicherheitsrates mitgetragen . Unser Ziel ist, Nordkorea zu Gesprächen zu bewegen.

Ist das verstanden worden?

Im Jahr 2009 erklärte Nordkorea seinen Ausstieg aus den Gesprächen. Aber wir bemühen uns weiterhin um Frieden und Stabilität auf der Halbinsel.

Auf der koreanischen Halbinsel herrschen zwei Systeme. Sie sind erfahren mit „einem Land und zwei Systemen": Wie geht es weiter mit Taiwan?

Die friedliche Annäherung ist besonders in den vergangenen acht Jahren weit vorangeschritten. Die Wirtschaften zwischen dem Festland und Taiwan haben sich miteinander verflochten. Der Tourismus floriert. Jetzt wurde auf Taiwan eine neue Führung gewählt, und wir wollen mit ihr diesen Prozess der friedlichen Entwicklung fortsetzen. Wir hoffen, dass die neue Führung Taiwans das versteht.

Für Hongkong hat Festlandchina eigene Vorstellungen von einer Wahl, Bürgerrechtler haben eine andere. Wie antworten Sie auf den Vorwurf, dass demokratische Rechte missachtet werden?

Hongkong war bis 1997 eine britische Kolonie, in der es nie Wahlen gab. Der Gouverneur von Hongkong wurde von London eingesetzt. Die Briten haben niemals die Hongkonger gefragt, welchen Gouverneur sie wählen wollen. Plötzlich sagen alle, sie wollen Demokratie in Hongkong. Das ist absurd.

Also kein Problem mit Demokratie und Menschenrechten?

Für die Menschenrechte haben wir seit Jahrhunderten gekämpft und als China noch ein halb koloniales Land war, das der europäischen Ausbeutung und Unterdrückung ausgesetzt war. Seit der Gründung der Volksrepublik erreichten wir die größte Verbesserung der Menschenrechte weltweit. 1,3 Milliarden Menschen haben eine gesicherte Existenz. Stabilität und Entwicklung Chinas sind der größte Beitrag zur Verbesserung der Menschenrechte. Wir sprechen mit Europa und auch mit Deutschland über Unterschiede im Verständnis, weisen aber Schulmeisterei zurück.

Als Sie Ihr Amt antraten schreib eine deutsche Zeitung »China schickt seinen besten Mann«. Haben Sie erreicht, was Sie wollten?

Ich kann Brücken bauen, weil ich beide Kulturen kenne. Das deutsche China-Bild scheint mir aber nicht selten weit entfernt von der Realität.

Was wäre dieses falsche Bild?

Hier schaut man auf China noch durch eine ideologisch gefärbte Brille. Viele meinen, es wäre nur eine vergrößerte DDR ist. Sie sehen nicht den Unterschied, sehen nicht die Veränderung, sehen nicht die Entwicklung.

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