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Botschafter Shi Mingde: „NRW ist eine gastfreundliche Region"
2014-04-02 00:37

Am 29. März 2014 erschien ein Interview von Botschafter Shi Mingde in der China-Beilage der Rheinische Post. Das Gespräch führte Matthias Beermann. Im Folgenden das Interview im Wortlaut:

Herr Botschafter, eine Studie hat erst jüngt wieder belegt, dass China in Deutschland immer noch ein Image-Problem hat. Die Deutschen bewundern den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas, er macht vielen Menschen aber auch Angst. Wie erklären Sie sich das?

Das China-Bild vieler Deutscher hinkt der Realität hinterher. Wie rasant sich mein Land entwickelt hat, ist vielen Menschen im Westen[u1] immer noch nicht ganz bewusst. Vor 35 Jahren hatte China einen Anteil an der Weltwirtschaftsleistung von 1,8 Prozent. Heute sind es zwölf Prozent. Das Bruttosozialinlandsprodukt pro Kopf stieg in dieser Zeit von 200 auf 7000 US-Dollar. Jeder fünfte Mensch auf der Welt ist ein Chinese. Wenn es unsere[u2] Regierung also gelingt, für diese vielen Menschen einen bescheidenen Wohlstand zu schaffen, dann frage ich Sie[u3] : Ist das nun eine Bedrohung oder nicht doch vielmehr ein Beitrag für Frieden und Stabilität in der Welt? Es ist richtig, wir sind ein Land voller innerer Widersprüche. So sind wir zwar die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt und wohl bald auch die größte, aber wenn Sie unsere Wirtschaftsleistung pro Kopf berechnen, also durch 1,3 Milliarden dividieren, dann liegen wir nur noch auf dem 90[u4] . Platz in der Welt. Bis wir zu einem Wohlstandsniveau wie in Deutschland oder den USA aufschließen, kann es noch Jahrzehnte dauern.

Wo könnte Deutschland von China lernen und umgekehrt China von Deutschland?

Zwischen unseren beiden Ländern gibt eine lange Tradition des Austauschs. Es herrscht in China ein großer Respekt für deutsche Kultur und Wissenschaft. Deutschland galt seit Mitte des 19. Jahrhunderts als Vorbild für moderne Technologien, vor allem bei der Militärtechnik[u5] . Ich persönlich finde, dass die berühmten deutschen Tugenden wie Gewissenhaftigkeit, Pünktlichkeit und Präzision, die im „Made in Germany" stecken, ein Vorbild für uns sind. Auch wenn es um diese Tugenden heutzutage nicht immer mehr ganz so gut bestellt ist (lacht). Im Übrigen mache ich Sie aufmerksam auf die großen Gemeinsamkeiten: Warum sind von den großen Volkswirtschaften eigentlich nur China und Dutschland gestärkt aus der Krise hervorgegangen? Weil wir beide auf Wertschöpfung setzen und nur das ausgeben, was wir zuvor auch eingenommen haben! Wir haben also grundsätzlich dieselbe Einstellung zur Wirtschaft, wir sind die größten Exportnationen und verfügen über die größten Realwirtschaften. Es ist deswegen nur logisch, dass wir so exzellente Beziehungen haben und dass so viele deutsche Unternehmen in China investieren – bisher 40 Milliarden Euro.

Traditionell war Hamburg mit seinem großen Hafen erster Anlaufpunkt für chinesische Firmen in Deutschland. Heute ist es das Binnenland Nordrhein-Westfalen – warum?

Es stimmt, seit drei Jahren siedeln sich mehr chinesische Firmen in NRW an als in Hamburg. Dort sitzen immer noch die großen Handelsunternehmen, die ihr Exportgeschäft über den Hafen abwickeln. Doch seit sich die chinesische Wirtschaft stärker auf industrielle Produktion verlegt, erweist sich der Raum um Düsseldorf häufig als geeigneter für Investitionen. Deswegen kommen immer mehr produzierende Unternehmen hierher, vor allem übrigens mittelständische Firmen. Eine Rolle spielt sicher auch, dass NRW seit drei oder vier Jahren eine sehr erfolgreiche China-Offensive betreibt, um Unternehmen anzulocken. Auch die Stadt Düsseldorf bemüht sich sehr um chinesische Ansiedlungen. Außerdem handelt es sich bei NRW um eine gastfreundliche Region, mit aufgeschlossenen Bewohnern. Fremdenfeindlichkeit ist hier eher selten, das ist ein Pluspunkt. Und: In NRW geht es weniger bürokratisch zu als in den meisten anderen Bundesländern, etwa bei der Erteilung von Visa.

Ende vergangenen Jahres hat die chinesische Führung ein großes Reformprogramm beschlossen. Was soll sich ändern in China?

Nach 35 Jahren rasanter Entwicklung sind wir an einem kritischen Punkt angelangt. In der Vergangenheit zählte einzig und allein das Wachstum, und damit haben wir ja auch große Erfolge erzielt, auf die wir stolz sind. Aber nun häufen sich auch die Probleme. Das bisherige Wirtschaftsmodell ist auf Dauer nicht mehr zu halten. Dazu sind unsere Ressourcen zu knapp. Um ein vergleichbares Produkt herzustellen, benötigen wir viermal soviel Energie wie in Europa und sogar siebenmal mehr als in Japan. Und dazu kommt die Umweltzerstörung, Smog in allen großen Städten, verseuchte Flüsse. Wir haben für unseren Wohlstand ökologisch einen hohen Preis bezahlt. Um diese Probleme anzugehen, setzten wir übrigens besonders auch auf deutsches Know-how in der Umwelttechnik. Da eröffnet sich in China ein interessanter neuer Markt für deutsche Unternehmen.

Die Umweltprobleme sind das eine – wie sieht die soziale Lage aus?

Allen Chinesen geht es heute besser, aber das soziale Ungleichgewicht hat sich verstärkt und schürt die Unzufriedenheit der Menschen. Genauso übrigens wie die Behandlung der Wanderarbeiter, von denen viele nun schon lange in Städten leben, die aber nach unserem traditionellen Modell bisher nicht die gleichen Rechte genießen wie die Stadtbevölkerung. Schließlich die Korruption: Viele Parteifunktionäre betrachten den Staat als Selbstbedienungsladen und bereichern sich persönlich. Der gewachsene Wohlstand in China hat also auch zu einer Vielzahl von negativen Nebenwirkungen geführt, mit denen wir jetzt fertig werden müssen. Wir befinden uns wirklich an einem Scheideweg.

Trotz aller Reformen: Freiheits- und Bürgerrechte bleiben in China eingeschränkt. Sind Ihnen diese Rechte weniger wichtig als uns im Westen?

Wir sind davon überzeugt, dass die wirtschaftlichen Reformen nur Erfolg haben können, wenn sie von politischen Reformen begleitet werden. Wenn wir im Sozialismus die Marktwirtschaft einführen, ist das doch auch eine politische Maßnahme! Wenn man von Menschenrechten spricht, verstehen wir darunter zuerst einmal die Sicherung der Existenz. Und was bedeutet denn Demokratie? Die Beteiligung einer Mehrheit von Menschen an den Entscheidungsprozessen. So wird es in China vor und nach allen wichtigen Entscheidungen Befragungen der Bürger geben. Das ist unser Modell einer konsultativen Demokratie. Das wird im Ausland nicht immer angemessen gewürdigt. Wir möchten uns da nicht belehren lassen, wie wir auch niemanden anderen belehren wollen. Aber es muss doch klar sein, dass Demokratie in einem Land wie China mit 1,3 Milliarden Menschen nicht genauso aussehen kann wie in einem Land wie Deutschland mit 82 Millionen Bürgern.

Wo sehen Sie Chinas Rolle in der Welt? Als neue Supermacht?

Nein, wir wollen keine Supermacht werden, und wir sind auch gar nicht in der Lage dazu. China hat sich von einem Außenseiter zu einem aktiven Mitgestalter der internationalen Politik entwickelt. Wir tragen heute schon große Verantwortung für die Sicherung des Friedens und der Sicherheit in der Welt. So stellt China heute die meisten UN-Blauhelme. Aber wir wollen andere Länder nicht dominieren, wir sind immer für eine politische Lösung der Konflikte, für Dialog. Das gilt auch in unserer eigenen Nachbarschaft.

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[u2]unserer

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