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Botschafter Shi Mingde gab dem Magazin "Die Schwarzen Seiten" ein Interview
2014-03-19 21:25

Am 1. März veröffentlichte “Die Schwarzen Seiten”, das Magazin der Jungen Union Sachsen und Niederschlesien, ein Interview mit Botschafter Shi Mingde. Im Gespräch hat er sich unter anderem zu Chinas Entwicklung, den chinesisch-deutschen Beziehungen und dem Inselstreit zwischen China und Japan geäußert hat. Das Interview führte Tom Unger, Landespressesprecher und Chefredakteur des Magazins. Im Folgenden das Interview im Wortlaut:

Eure Exzellenz, in den zurückliegenden 40 Jahren haben sich diese Beziehungen zu großer Vielfalt, beachtlicher Dichte und zunehmender politischer Substanz entwickelt – sie sind freundschaftlich und gut. Deutschland vertritt ebenso wie alle EU-Partner eine Ein-China-Politik. Dynamische Handelsbeziehungen, Investitionen, Umweltzusammenarbeit, kultur- und wissenschaftspolitische Zusammenarbeit und intensiver hochrangiger Besucheraustausch prägen die Beziehungen. Wie bewerten Sie aktuell die historisch einmalig gewachsene Verbindung unserer beiden Staaten?

Ich bin jetzt schon seit über 40 Jahren Diplomat und habe die Beziehungen zwischen beiden Ländern fast seit der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen vor 42 Jahren miterlebt. In diesen gut 40 Jahren gab es für die bilateralen Beziehungen zwar schwierige Zeiten und Rückschläge, doch durch die gemeinsamen Bemühungen beider Seiten konnte insgesamt das positive Momentum einer gesunden und stetigen Vorwärtsentwicklung beibehalten werden, und heute haben diese Beziehungen eine nie dagewesene Breite und Tiefe erreicht. Zwischen China und Deutschland gibt es keine von der Geschichte zurückgelassenen Probleme oder grundsätzliche Interessenskonflikte. Die wechselnden Regierungen Deutschlands haben stets an der Ein-China-Politik festgehalten, und China hat immer die deutsche Einheit unterstützt, und dies bildete eine solide politische Basis für die Entwicklung der bilateralen Beziehungen. Deutschland ist für China der größte Handelspartner und die wichtigste Quelle für Technologien und Investitionen in Europa. Das chinesisch-deutsche Handelsvolumen ist so groß wie das zwischen China und Frankreich, China und Großbritannien und China und Italien zusammengenommen. Das ist eine verlässliche materielle Basis für die Beziehungen zwischen beiden Ländern. Sowohl China als auch Deutschland sind große Kulturnationen, die Völker beider Länder hegen große Sympathie für die Kultur des jeweils anderen Landes, man lernt voneinander und interessiert sich für den anderen, und dadurch bilden auch die Kultur und die Einstellung der Menschen eine unerschöpfliche Triebkraft für die chinesisch-deutschen Beziehungen.

Besonderer Ausdruck der gegenseitigen Wertschätzung sind die seit 2011 jährlich stattfindenden Regierungskonsultationen unserer beiden Regierungen. Es handelt sich hierbei um die erste Bildung eines Mechanismus dieser Art zwischen der chinesischen und einer ausländischen Regierung. Wie wichtig sind diese bilateralen Regierungskonsultationen für die deutsch-chinesische Freundschaft?

Zwischen China und Deutschland haben bereits zweimal, 2011 und 2012, Regierungskonsultationen stattgefunden, und in der zweiten Hälfte dieses Jahres werden sie in Deutschland zum dritten Mal stattfinden. Dies ist der höchstrangige Mechanismus derartiger Regierungskonsultationen zwischen China und einem westlichen Land, und sie bilden den höchstrangigen, umfangreichsten und vom Themenspektrum her breitesten Dialog zwischen China und Deutschland. Sie bringen den strategischen und ganzheitlichen Aspekt der chinesisch-deutschen Beziehungen voll zum Ausdruck. Zu den letzten Regierungskonsultationen in Peking brachte Bundeskanzlerin Merkel neun Kabinettsmitglieder mit, auf chinesischer Seite nahmen dreizehn Minister teil. Eine wichtige Funktion der Konsultationen ist es, von einer strategischen Warte aus eine langfristige Planung und eine Gesamtabstimmung der bilateralen Beziehungen durchzuführen, die Gebiete und Schwerpunkte der konkreten Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland festzulegen, die kulturellen Kontakte, besonders auch den Jugendaustausch, zu erweitern, um so die chinesisch-deutschen Beziehungen langfristig und nachhaltig voranzubringen.

Herr Botschafter, Sie sind seit August 2012 Außerordentlicher und Bevollmächtigter Botschafter der Volksrepublik China in der Bundesrepublik Deutschland. Sie haben vorher bereits von 1972 und 1975 in der ehemaligen DDR studiert. Seit 1976 durchliefen Sie verschiedene Verwendungen und Funktionen in der Botschaft der DDR, aber auch in der diplomatischen Vertretung der BRD – in Bonn und Berlin. Sie kennen also Deutschland besonders gut. Wie haben Sie die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen von damals bis heute hier im wiedervereinigten Deutschland wahrgenommen?

Die Wiedervereinigung Deutschlands ist eines der bedeutendsten historischen Ereignisse seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Sie steht für die Beendigung des Kalten Krieges. Nach der Wiedervereinigung wurde Deutschland im wahren Sinne zu einem souveränen Staat, es setzte sich aktiv für die Einheit Europas ein, und es spielt in europäischen und internationalen Angelegenheiten eine immer größere Rolle. Besonders seit der europäischen Schuldenkrise spielt Deutschland eine wichtige Rolle als Stabilitätsanker. Seine allgemeine Stärke und sein Einfluss wurden noch größer. Die Deutschen verhielten sich solidarisch, halfen sich gegenseitig und wurden so mit großer Kraftanstrengung mit den enormen Herausforderungen fertig, die die Einheit mit sich gebracht hatte. Sie erzielten große Erfolge beim inneren Zusammenwachsen des Landes, das Gefälle bei der Entwicklung und beim Lebensstandard zwischen Ost- und Westdeutschland wurde schrittweise verringert. Natürlich wird es noch dauern, bis das innere Zusammenwachsen, besonders in psychologischer Hinsicht, ganz vollendet ist.

China ist der wichtigste Wirtschaftspartner Deutschlands in Asien, Deutschland ist Chinas wichtigster Handelspartner in Europa. Angesichts der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise kommt der stabilen Kooperation zwischen den beiden stark exportorientierten Volkswirtschaften große Bedeutung zu. Wie können – gerade vom dem Hintergrund der globalen Finanzkrise – die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen unseren beiden Nationen auf ein noch breiteres Fundament gestellt werden und wie werden wir gemeinsam, im Zeithalter der Globalisierung, auf die volatilen finanzpolitischen und geostrategischen Herausforderungen der Zukunft reagieren?

China und Deutschland gehören zu den größten Exportländern der Welt, und für beide Länder stellte die internationale Finanzkrise eine große Herausforderung dar. Unsere beiden Länder haben aus der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise ähnliche Schlüsse gezogen, wir sind beide nicht für die lockere Geldpolitik, die manche Länder betreiben, wir befürworten, dass man sich um eine strenge Finanzpolitik und um eine Strukturanpassung der Wirtschaft bemühen muss. Vor kurzem brachte die Abwendung der USA von ihrer lockeren Geldpolitik für die Weltwirtschaft und besonders für den Finanzmarkt der Schwellenländer neue Unruhe. Derzeit erholt sich die Weltwirtschaft nur langsam, wir sollten uns gemeinsam um offene Märkte und um fairen Wettbewerb bemühen, und wir sollten uns gegen Protektionismus stellen. Die chinesische Seite ist bereit, mit Deutschland gemeinsam die DOHA-Verhandlungen voranzubringen, so dass sie substanzielle Ergebnisse erbringen. Die gemeinsamen Interessen Chinas und Deutschlands auf den Gebieten des internationalen Handels sowie der Finanz- und Geldpolitik haben zugenommen, der Bedarf nach Zusammenarbeit ist gestiegen. Auch in Hinblick auf globale Herausforderungen wie die Lösung schwerer regionaler und internationaler Krisen, z.B. der Iran-Nuklearfrage, haben China und Deutschland viele übereinstimmende Standpunkte und gemeinsame Interessen. Hier gab es schon Abstimmung und Kooperation, und sie sollten verstärkt werden. Dies entspräche nicht nur unseren gemeinsamen Interessen, es würde auch dem Frieden, der Stabilität und dem Wohlstand der ganzen Welt nützen.

Auch für Deutschland und Sachsen ist China der bedeutendste Investitions- und Zukunftsmarkt in ganz Asien. Viele deutsche, aber auch sächsische Firmen und Unternehmen produzieren in China. Im Oktober 2013 besuchte der sächsische Umweltminister Frank Kupfer gemeinsam mit sächsischen Unternehmern und einer Delegation von Wissenschaftlern China. Stationen der siebentägigen Reise waren die Hauptstadt Peking sowie die Provinz Hubei mit den Städten Wuhan und Yichang. Vier Umwelttechnik-Firmen aus Sachsen haben dabei Verträge in China unterzeichnet. Wie gefragt ist das deutsche und sächsische Know-How in China?

Ich halte es für sehr gut, dass die sächsische Landesregierung aktiv die konkrete Zusammenarbeit der Unternehmen mit China fördert. Deutschland ist nicht nur Chinas größter Handelspartner in Europa, es ist auch das europäische Land mit dem größten Technologietransfer nach China. China ist ein riesiger Markt, und es ist dabei, umfassende und noch tiefergehende Reformen durchzuführen, und es verwendet große Anstrengungen auf die Transformation und das Upgrading seiner Wirtschaft. Deutschland, einschließlich Sachsen, verfügt über moderne Technologien und Management-Erfahrungen, es besitzt herausragende Stärken, wenn es um Gebiete wie Energieeinsparung und Umweltschutz, Öko-Wirtschaft und Spitzen-Fertigungsindustrie geht, die für China Entwicklungsschwerpunkte bilden. Hier bietet sich an, dass beide Seiten sich gegenseitig ergänzen und zum beiderseitigen Nutzen zusammenarbeiten.

Ein wichtiges Kooperationsinstrument zur Entwicklung von mehr Rechtsstaatlichkeit ist der deutsch-chinesische Rechtsstaatsdialog und der Menschenrechtsdialog auf europäischer Ebene. Der deutsch-chinesische Rechtsstaatsdialog geht auf eine Vereinbarung des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder mit dem ehemaligen chinesischen Ministerpräsidenten Zhu Rongji vom November 1999 zurück. Haben diese Formate zu nachhaltigen Reformen in China beigetragen?

Der von der deutschen Seite Rechtsstaatsdialog genannte Kooperationsaustausch auf dem Gebiet des Rechts zwischen China und Deutschland ist mit der wichtigste Dialogmechanismus zwischen den beiden Ländern. In Form von hochrangigen Rechtssymposien, dem Austausch von Besuchsdelegationen und durch Fortbildungsmaßnahmen kommt es zu einem weitgesteckten Dialog und zur Zusammenarbeit, was den Austausch beider Seiten auf einer Basis der Gleichberechtigung und des gegenseitigen Respekts fördert und das gegenseitige Verständnis verbessert hat, zum Vorteil für beide Seiten. Bis heute wurden bereits fünf „Zwei-Jahres-Durchführungsprogramme“ unterzeichnet, und es wurden 113 Austausch- und Kooperationsprojekte durchgeführt, die viele Gebiete berühren, wie zum Beispiel die Erarbeitung, Umsetzung und Überwachung von Gesetzen und die Ausbildung von Rechtspersonal. Auf Gebieten wie Patentrecht, Warenzeichenrecht und Urheberrecht hat Chinas Legislative eine Menge von Deutschlands Erfahrungen einfließen lassen. Deutschland wiederum hat dabei viel erfahren über die landesspezifische Situation Chinas und seinen Rechtsaufbau. Das 3. Plenum des 18. ZK der Kommunistischen Partei Chinas hat strategische Entscheidungen getroffen für umfassende und vertiefte Reformen, die auch den weiteren Aufbau eines rechtsstaatlichen Chinas beinhalten. Ich bin der Überzeugung, dass die Zusammenarbeit und der Austausch zwischen China und Deutschland auf dem Gebiet des Rechts noch verstärkt werden, da dies von Nutzen für beide Seiten ist.

Trotz der wirtschaftlichen Power steht das „Reich der Mitte“ vor gewaltigen Problemen. Welche Maßnahmen will die neue Regierung ergreifen, um beispielsweise die katastrophale Umweltverschmutzung in den „Kohle-Provinzen“ Shaanxi und Shanxi einzudämmen? Welche Lösungsoptionen werden im Staatsrat diskutiert, um die gravierende Smogbelastung in den chinesischen Metropolen zu verringern?

Das häufige Vorkommen von schwerwiegenden Smog-Wetterlagen schädigt die Gesundheit der Bevölkerung, und es gibt bei ihr großen Unnmut darüber. Dies ist ein Umweltproblem, und es ist gleichzeitig ein großes Problem für die Lebensverhältnisse der Menschen. Die neue chinesische Regierung nimmt das sehr ernst und unternimmt derzeit große Anstrengungen, um das Problem zu lösen. In einem „Aktionsplan zur Vorbeugung gegen Luftverschmutzung“ des Staatsrats vom September 2013 ist eine allgemeine Verbesserung der Luftqualität innerhalb der nächsten fünf Jahre vorgesehen. Bis 2017 soll landesweit in allen Städten die Dichte der inhalierbaren Feinstaubpartikel im Vergleich zu 2012 um mehr als zehn Prozent verringert werden, in der Region Peking, Tianjin und Hebei soll die Dichte der Partikel um 25 Prozent abnehmen. Um dieses Ziel zu erreichen, sieht der „Aktionsplan“ zehn konkrete Maßnahmen vor. Die wichtigsten drei sind erstens eine aktive Veränderung des Energie-Mix, zweitens ein wesentlich verstärkter Einsatz von sauberer Kohle, und drittens die konsequente Umsetzung der Verantwortlichkeiten bei der Vorbeugung gegen Umweltverschmutzung. Nach der Verabschiedung dieses Aktionsplans haben die Provinzregierungen, darunter auch die von Shaanxi und Shanxi, entsprechende Vorbeugungsziele definiert und mit dem Staatsrat Zielvereinbarungen unterzeichnet. Wo diese Ziele nicht erreicht werden, wird die Führung der jeweiligen Provinzregierung streng zur Rechenschaft gezogen werden.

China zählt zu den Ländern in der Welt, in dem das Arm-Reich-Gefälle gefährlich groß ist. Es ist so, dass ca. 180 Millionen Chinesen pro Tag mit weniger als 1,25 $ auskommen müssen. Gleichzeitig gibt es eben auch inzwischen ca. 2,7 Millionen Dollar-Millionäre, und sogar 251 Milliardäre. Gibt es bereits einen Masterplan, wie man diese Kluft wieder in eine ausgewogene Balance bringen kann?

Die Verwirklichung von gemeinsamem Wohlstand und sozialer Gerechtigkeit sind von der chinesischen Regierung kontinuierlich verfolgte politische Ziele. In den über 30 Jahren seit Beginn von Reform und Öffnung hat sich der allgemeine Lebensstandard des chinesischen Volkes deutlich verbessert, doch die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer. Die neue chinesische Regierung hat dieses Problem klar erkannt und bereits geeignete Maßnahmen zur Beschleunigung der sozialen Reformen ergriffen, um zu erreichen, dass die Früchte der Entwicklung noch stärker und noch gerechter der gesamten Bevölkerung zugute kommen. Es sind folgende konkrete Maßnahmen: Erstens soll eine vernünftige und geordnete Struktur der Einkommensverteilung geschaffen werden. Schwerpunktmäßig soll das durch Arbeit bezogene Einkommen geschützt werden, es müssen Anstrengungen unternommen werden für eine synchrone Zunahme des Arbeitsentgelts und der Arbeitsproduktivität, und der Anteil des Arbeitsentgelts an der Primärverteilung muss erhöht werden. Zweitens müssen die Mechanismen für die Anpassung der Verteilung verbessert werden, deren wichtigste Instrumente die Besteuerung, die soziale Sicherung und die Transferzahlungen sind. Auch soll der Anpassungs-Spielraum bei der Besteuerung erhöht werden. Es muss ein Datensystem für die privaten Einkommen s- und Vermögensverhältnisse errichtet werden, die legalen Einkünfte müssen geschützt werden, zu hohe Einkommen müssen angepasst werden, die Einkommens-Diskrepanzen zwischen Stadt und Land, zwischen den Regionen und zwischen den Branchen müssen verringert werden, so dass sich schrittweise eine olivenförmige Verteilungsstruktur herausbildet. Drittens ist ein gerechteres und nachhaltigeres soziales Sicherungssystem aufzubauen, das die Lebensverhältnisse des Volkes besser absichert und verbessert, um so die soziale Fairness und Gerechtigkeit zu fördern.

Seit 15. November 2012 residiert offiziell Xi Jinping als Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas im Zhongnanhai. Seit März 2013 ist er zudem Staatspräsident und Vorsitzender der Zentralen Militärkommission. Welche Impulse erhoffen Sie sich von seiner Präsidentschaft?

Der 18. Parteitag der KPCh hat ein neues Führungskollektiv mit Xi Jinping als Generalsekretär gewählt und neue Entwicklungsziele definiert. Sowohl Xi Jinping als auch die anderen Mitglieder des neuen Führungskollektivs verfügen über äußerst reiche Arbeitserfahrung an der Basis, ihr Charakter und ihre Befähigung genügen hohen Ansprüchen, sie verfügen über lange Lebenserfahrung und große Energie, ebenso über große Entschlossenheit und Initiative. Ich bin überzeugt, dass das neue Führungskollektiv die gute Arbeit der Vergangenheit fortsetzen und das chinesische Volk stetig voranführen wird auf seinem Weg zur Verwirklichung des Chinesischen Traums einer nationalen Renaissance. Vor kurzem hat das 3. Plenum des 18. ZK wichtige Entscheidungen zur umfassenden Vertiefung der Reformen getroffen. Diese beziehen sich auf 15 Gebiete, über 60 Aufgaben und 300 konkrete Maßnahmen. Vor dem Hintergrund des Eintretens der Reformen in ihre entscheidende und substanziellste Phase bringt dieser Entschluss in vollem Umfang den Reformwillen und den Mut des neuen Führungskollektivs mit Xi Jinping als Generalsekretär zum Ausdruck. Chinas Reform und Öffnung tritt in eine neue Phase, in China wird es weiterhin tiefgreifende Veränderungen geben.

Präsident Xi hat bei seinem Amtsantritt der Bevölkerung den „Chinesischen Traum“ („Zhongguo Meng“) versprochen. Er selbst träumt von der „Wiedergeburt der großen chinesischen Nation“. Was ist unter dem „Chinesischen Traum“ genau zu verstehen?

Von Xi Jinping stammt die bedeutende Idee des Chinesischen Traums, dessen Inhalt im Wesentlichen die Verwirklichung eines wohlhabenden und starken Chinas, des Aufschwungs der Nation und des Glücks des Volkes bildet. Dies sind die größten Ideale, die das chinesische Volk seit Beginn der Moderne verfolgt. Zur Verwirklichung des Chinesischen Traums haben wir das Konzept der „Zwei Jahrhundertziele“ definiert. Bis zum Jahr 2020, in dem sich die Gründung der KP Chinas zum 100. Mal jährt, soll eine Verdoppelung sowohl des BIP als auch der städtischen wie der ländlichen Einkommen gegenüber 2010 und damit ein allgemeiner bescheidener Wohlstand erreicht werden. Bis zum 100. Gründungsjubiläum der VR China in der Mitte dieses Jahrhunderts soll der Aufbau eines wohlhabenden, starken, demokratischen, kultivierten und harmonischen modernen sozialistischen Staates abgeschlossen sein. Der Chinesische Traum ist der gemeinsame Traum der gesamten chinesischen Nation und gleichzeitig der Traum jedes einzelnen Chinesen. Die Verwirklichung des Chinesischen Traums wird nicht nur ein Segen für das chinesische Volk sein, sondern auch ein Segen für alle Völker der Welt.

Eure Exzellenz, wie bewerten Sie aktuell den Territorialstreit mit Japan um die Diaoyu- Inseln im Ostchinesischen Meer?

Die Diaoyu-Insel und die dazugehörigen Inseln sind seit altersher chinesisches Territorium, China übt über sie ganz unbestreitbar die Hoheitsrechte aus. Die derzeitigen Spannungen um die Diaoyu-Inseln gehen voll und ganz von der japanischen Seite aus. Japan bestreitet glattweg die früher von China und Japan erzielte Übereinkunft, diesen Streitfall zurückzustellen, und es versucht unilateral auf dem Wege der Verstaatlichung den Status quo der Diaoyu-Inseln zu verändern, immer wieder verletzt es Chinas territoriale Souveränität. Japan muss seinen Fehler einräumen, sich gründlich ändern und zu einer Lösung dieser Frage auf den Verhandlungsweg zurückkehren.

Noch schwerer wiegt, dass das fehlerhafte Verhalten Japans in der Frage der Diaoyu-Inseln und der Besuch des japanischen Premierministers Abe im Yasukuni-Schrein, in dem Kriegsverbrechern der Katergorie A des Zweiten Weltkriegs gedacht wird, beweisen, dass die von Abe angeführten Kräfte des rechten Flügels in Japan noch immer nicht zu einer korrekten Sicht und Haltung gegenüber der Aggressionsgeschichte gelangt sind, sie stellen offen die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs und die internationale Nachkriegsordnung in Frage, und damit führen sie Japan in eine höchst gefährliche Richtung. Dies bringt eine ernste Schädigung des Friedens und der Stabilität in der Region und in der Welt mit sich, die internationale Gemeinschaft sollte hier außerordentlich wachsam sein.

Viele westliche Analysten und Journalisten blicken mit Argwohn auf den kometenhaften Aufschwung Chinas und den rasanten Anstieg von Chinas Militäretat. Auch die Expansion der chinesischen Seestreitkräfte wird in Washington D. C. aufmerksam verfolgt. Im Dezember 2013 hat die Liaoning, Chinas erster Flugzeugträger, seine Probefahrt im Südchinesischen Meer und durch die Taiwanstraße erfolgreich abgeschlossen. Anfang dieses Jahres hat China seinen ersten Hyperschall-Flugkörpers getestet. Viele Anrainer-Staaten, insbesondere Japan und die Philippinen, wollen ihre Wehr-Ausgaben ebenfalls signifikant anheben. Japan möchte gar seine pazifistische Nachkriegsverfassung ändern. Premierminister Shinzo Abe

will die Verteidigungskräfte zur normalen Streitmacht aufwerten. Auch die USA fürchten um ihren Hegemonialanspruch im Pazifik und fühlen sich herausgefordert. Was entgegnen Sie diesen Kritikern?

China geht unbeirrt seinen Weg der friedlichen Entwicklung, es verfolgt weiterhin eine defensive Verteidigungspolitik, es beteiligt sich an keinem Rüstungswettrennen, und es stellt für kein Land eine militärische Bedrohung dar. Der vertretbare Zuwachs bei den Verteidigungsausgaben Chinas entspringt der ganz normalen Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der Sicherheit des Landes. China hat eine Fläche von 9,6 Millionen Quadratkilometern, eine 22.000 km lange Festlandgrenze und eine maritime Grenze von 32.000 km. Deshalb braucht es zur Landesverteidigung natürlich eine starke und moderne Armee, um so den Frieden verteidigen zu können. Derzeit sind Chinas Militärausgaben bei weitem niedriger als die der USA. Pro Kopf gerechnet sind auch Japans Militärausgaben viel höher als die Chinas. Japan macht Propaganda mit einer Bedrohung durch China, sein Hintergedanke ist dabei, unter diesem Vorwand die Geschichte und die internationale Nachkriegsordnung zu negieren, seine Friedensverfassung zu ändern und die nach dem Krieg auferlegten militärischen Beschränkungen abzuschütteln. Dies ist höchst gefährlich. China hält an seiner friedlichen Entwicklung fest und ist dafür, die Streitfragen durch Dialog und Verhandlungen zu lösen, doch es wird im Falle jedweder Provokation entschlossen zurückschlagen.

Die Kommunistische Partei Chinas ist mit etwa 78 Mio. Mitgliedern die mitgliederstärkste politische Partei der Welt. Xi hat der gesamten Kommunistischen Partei eine groß angelegte – und alle Ebenen durchdringende – Antikorruptionskampagne verordnet. Die Korruption, hatte der neue Generalsekretär Xi Jinping im letzten Jahr gewarnt, verbreite sich in China „wie Würmer in einem Kadaver“. Die Partei werde von nun an nicht nur die „Fliegen“ in den Provinzen, die subalternen Beamten, sondern auch die „Tiger“ fangen, die korrupten Spitzen im System. Nun hat es in 2013 einige dieser Tiger erwischt. In Peking zittern nun auch die korrupten TOP-Beamten. Ein hoher Funktionär nach dem anderen hat plötzlich die Partei-Polizei im Haus. Wie erfolgreich ist die von Xi postulierte und lancierte Antikorruptionskampagne, die große und kleine Gauner erwischen soll?

Chinas neues Führungskollektiv misst dem Aufbau des Partei-Stils und einer unbestechlichen Verwaltung sowie dem Kampf gegen Korruption hohe Bedeutung bei, und es hat dazu zahlreiche wirksame Maßnahmen ergriffen, wie die Anwendung der „Acht Regeln“. Wir betonen, dass niemand, auch kein Parteimitglied und kein Führungskader, über dem Gesetz steht. Im letzten Jahr hat Chinas Antikorruptionskampf weltweit große Beachtung gefunden, und seine Erfolge liegen offen zutage. 2013 haben die Disziplinar-Untersuchungsorgane aller Ebenen landesweit 1.950.374 Hinweise erhalten, es wurden 172.532 Verfahren eröffnet und 182.038 Personen bestraft. Darunter waren Sanktionen und Untersuchungen gegen 31 Personen auf Provinzführungs- bzw. Ministerebene. Natürlich ist es beim Antikorruptionskampf nicht mit einer einzigen Aktion getan. Wir werden an der Ahndung von Korruption mit einer Null-Toleranz-Strategie festhalten; bei jedem korrupten Element, das wir entdecken, werden wir entschlossen ermitteln und bestrafen.

Vor 40 Jahren begann die Volksrepublik China mit einer strikten Bevölkerungskontrolle. Rein rechnerisch wurden dadurch ca. 400 Millionen Kinder weniger geboren. Ohne Geburtenkontrollen hätte sich Chinas Bevölkerung zwischen 1970 und heute nicht verdoppelt, sondern mit 1,7 bis 1,8 Milliarden Menschen fast verdreifacht. Der Druck auf die Ressourcen, Nahrungsmittel, Wasser oder Energieverbrauch wäre entsprechend stark angestiegen. Vor 1970 brachte eine Chinesin durchschnittlich 5,8 Kinder zu Welt. 2012 war diese Zahl auf 1,5 bis 1,6 Kinder gesunken. Doch die negativen Folgen lassen nach anderer Sichtweise nun das Pendel für einen Wandel ausschlagen. So kippt Chinas Alterspyramide schneller als in jedem anderen Land der Welt. Die Ein-Kind-Politik hat zudem die Geburtenrelationen verzerrt, weil dem Wunsch nach Jungen – besonders auf dem Land – vielfach mit Abtreibungen nachgeholfen wird. Auf dem jüngst stattgefundenen Reformparteitag im November 2013 – dem III. Plenum des 18. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas – wurde neben Unternehmensformen auch eine Lockerung der sogenannte Ein-Kind-Politik beschlossen. Wie sieht dieses Reformpaket genau aus?

Das 3. Plenum des 18. ZK hat die grundsätzliche Entscheidung getroffen, die derzeitige Ein-Kind-Politik zu lockern. Wenn bei einem Ehepaar ein Partner selbst ein Einzelkind ist, dann sind zwei Kinder erlaubt. Diese Reform wird schrittweise umgesetzt, es wird kein einheitlicher Zeitplan für das ganze Land festgelegt, sondern er liegt in der Verantwortung der einzelnen Provinzen, die dies nach den örtlichen Gegebenheiten und nach dem Gesetz organisieren und durchführen können. Voraussetzung für die Durchführung ist die Änderung der geltenden Bestimmungen für die Geburtenplanung, so dass Ehepaare, die die Voraussetzungen erfüllen, legal ein zweites Kind bekommen können. Zurzeit wenden die Provinzen Zhejiang, Jiangxi und Anhui bereits seit Januar die neue Politik an.

John Rabe wird in China als Held verehrt. Er wird wegen seiner humanitären Verdienste um die chinesische Zivilbevölkerung im Zweiten Weltkrieg als der „Oskar Schindler Chinas“ bezeichnet. Nach der Einnahme der Stadt Nanjing 1937 durch das Kaiserreich Nippon ging die Japanische Kaiserliche Armee mit unglaublicher Brutalität gegen die Zivilbevölkerung vor. John Rabe wurde zum Vorsitzenden eines internationalen Schutzkomitees ernannt. Er hat durch die Errichtung einer Schutzzone über 250.000 Menschen vor dem Tod gerettet. Die Chinesen nennen den Hamburger Kaufmann liebevoll „der deutsche lebende Buddha“. Am 23. November 2012, anlässlich des 130. Geburtstages von John Rabe sowie des 75. Jahrestages der Gründung der Schutzzone von Nanjing am Vortag, wurden in Nanjing, Berlin und Hamburg identische John-Rabe-Gedenktafeln in feierlichem Rahmen enthüllt. Sie selbst haben am 12. November 2012 in Berlin an der Einweihungszeremonie der neuen Grabstätte von John Rabe teilgenommen. Welche Bedeutung hat John Rabe für die chinesische Bevölkerung?

John Rabe war ein Freund und Wohltäter des chinesischen Volks. Das chinesische Volk wird das dunkle historische Kapitel des Nanjing-Massakers nie vergessen, und auch die gute Tat von John Rabe wird es nie vergessen. Unsere Renovierung des Grabes von John Rabe geschah aus der dankbaren Erinnerung an ihn und an den nationenübergreifenden Geist der Humanität, für den er steht. Damit wird auch deutlich gemacht, dass wir die Nachkriegsordnung und den Weltfrieden entschieden schützen wollen.

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