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Hand in Hand aus der Coronakrise
Gastbeitrag von Botschafter Wu Ken im Handelblatt
2020-05-26 16:29

Ich stamme aus Hunan, einer südchinesischen Provinz mit 70 Millionen Einwohnern. Nie werde ich vergessen, wie der Yangtze, Chinas längster Fluss, im Sommer 1998 über die Ufer trat, die Dämme zum Einsturz brachte und unfassbares Leid über die chinesische Bevölkerung brachte. In der Stunde nationaler Not erfuhr meine Heimat Hilfe aus der Ferne, aus Krefeld. Die Gesellschaft für Deutsch-Chinesische Freundschaft Krefeld schickte damals 51 Kisten mit Medikamenten nach Hunan.

Wir Chinesen vergessen so etwas nicht. Ein chinesisches Sprichwort besagt: „Die Güte eines Tropfens sollte durch eine sprudelnde Quelle erwidert werden." Und so schrieb Herr Xu Dazhe, der Gouverneur der Provinz Hunan, vor Kurzem an Herrn Frank Meyer, den Oberbürgermeister von Krefeld, einen Brief und kündigte die Sendung medizinischer Hilfsgüter an, die in Krefeld gerade dringend gebraucht werden.

Diese kleine Geschichte gegenseitiger Hilfe ist nur eine von vielen. Sie findet gerade in der chinesisch-deutschen Zusammenarbeit in der aktuellen Corona-Krise diverse Fortsetzungen. Die Bundesregierung hat zweimal Hilfsgüter an China gespendet, als die Corona-Epidemie Anfang des Jahres China erschütterte. Die chinesische Regierung hat im Gegenzug auch medizinische Schutzausrüstung an Deutschland gespendet. Zahlreiche chinesische Unternehmen und NGOs haben ebenfalls Millionen an Masken und Handschuhen an ihre deutschen Partner geschickt. Über die etablierte „Luftbrücke" werden täglich medizinische Güter tonnenweise aus China nach Deutschland eingeflogen. Medizinische Experten beider Länder tauschten sich mehrfach per Videoschalte aus und ein RKI-Experte nahm im Februar an einem Besuch der WHO-Mission in China teil.

Ich freue mich zu sehen, dass die hierzulande ergriffenen Maßnahmen im Kampf gegen COVID-19 bereits positive Ergebnisse erbracht haben. Ich bewundere in diesem Zusammenhang die Disziplin und die Solidarität der Deutschen. Der Erfolg bei der Bewältigung dieser besonderen Herausforderung gibt ihnen Recht – und lässt sie näher zusammenrücken. Ganz klar ist es auch, dass kein Land der Erde dieses Problem allein lösen kann. Denn das Coronavirus ist nicht der Feind eines einzelnen Volkes. Es ist ein Menschenfeind. Und diesem Feind begegnen die Menschen am besten, wenn sie zusammen halten und sich gegenseitig helfen. Mit Solidarität und Mitgefühl lassen sich im Kampf gegen Corona außergewöhnliche Synergien erschaffen.

Deshalb sind wir Chinesen besonders entsetzt darüber, dass das Virus von Manchen gezielt genutzt wird, China zu stigmatisieren und mit faktenfreien Vorwürfen an den Pranger zu stellen, entweder um Ressentiment gegen China zu schüren, oder um von eigenen Versäumnissen abzulenken. Was solch ein Verhalten befördern kann, spielt sich unlängst in vielen Ländern ab. Unsere im Ausland lebenden Landsleute werden zunehmend ausgegrenzt und diskriminiert. Gegen Chinesen häufen sich rassistische Äußerungen oder sogar tätliche Angriffe. Das ist eine sehr gefährliche Entwicklung, die die Völker auseinandertreibt in einer Zeit, in der sie angesichts einer globalen Herausforderung besser beisammen stehen sollten. Dem müssen wir alle entschieden entgegentreten.

Corona hat die Welt in seinen Bann gezogen und wird sie nachhaltig verändern. Wir müssen nur gemeinsam darauf achten, dass dies zum Besseren geschieht. Erleichtert und gespannt zugleich stelle ich fest, dass China und Deutschland auf gutem Weg zurück zur Normalität sind. Die Bundesliga nimmt als erste Profiliga wieder den Spielbetrieb auf und die Menschen gehen wieder in Restaurants. Sie genießen ihre neue Freiheit, die vor der Corona-Krise eine Selbstverständlichkeit gewesen ist. Das chinesische Wort für Krise ist „Weiji" und birgt sowohl die Bedeutung „Gefahr" wie auch „Chance". Einer jeden Krise wohnt eine Chance inne, die ergriffen werden will. Wir wollen gemeinsam mit Deutschland auf die Chancen der Zukunft schauen und ich habe mir dazu ein paar Gedanken gemacht, die ich mit Ihnen teilen möchte.

Dank der effektiven Präventions- und Kontrollmaßnahmen und hoher Opferbereitschaft der Chinesen kehrt die wirtschaftliche und gesellschaftliche Normalität in China wieder ein. Dadurch bieten sich deutschen Unternehmen enorme Chancen, den wieder erwachenden chinesischen Produktions- und Absatzmarkt als Motor für die eigene Erholung zu nutzen. Wie so oft ist hier der Automarkt ein erster Indikator: Er erholt sich rasant. Absatz und Produktion in China beliefen sich im April auf mehr als zwei Millionen Autos und stiegen damit über das Vorjahresniveau. Davon profitierten insbesondere die deutschen Autobauer und konnten eine glänzende April-Bilanz präsentieren. Hier können beide Länder sich gegenseitig stützen und auch in den Bereichen Chemie, Maschinenbau, Pharma etc. auf ein großes Wachstumspotential bauen.

Um gegenseitige Wachstumspotentiale logistisch zu flankieren, hat sich der China-Europa-Güterzug als eine wichtige Lebensader etabliert. Seine wichtigsten Umschlagplätze in Europa sind Duisburg und Hamburg. Allein im April fuhren 979 Züge mit 88.000 Containern zwischen China und Europa hin und her, was einem Zuwachs von 46 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat entsprach. Angesichts des Corona-bedingten wirtschaftlichen Einbruchs und der Störung globaler Lieferketten ist das keine Selbstverständlichkeit. Dies bestärkt mich in der Ansicht, dass der Güterverkehr zwischen China und Europa zur Schiene eine zuverlässige und zudem umweltfreundliche Alternative zu Schiff und Flugzeug darstellt. Die sehr gute Bahnverbindung trägt während der Coronakrise übrigens auch ganz wesentlich dazu bei, dass Schutzausrüstung und wichtige Ersatzteile nach Deutschland gelangen können. Der Güterzugverkehr zwischen China und Deutschland wird an Bedeutung in der Zukunft eher noch gewinnen, weil er krisensicher, leistungsstark und pünktlich ist.

Nicht nur im Güter-, auch im Personenverkehr gibt es gute Nachrichten: Wir haben mit Deutschland als erstem europäischen Land über ein so genanntes „Fast-Track-Verfahren" für die Einreise nach China verhandelt und ganz schnell Einigung erzielt. Deutsche Geschäftsleute, die in China arbeiten, sowie deren Familienangehörigen dürfen bald wieder unter vereinfachten Bedingungen nach China reisen. Erste Flüge sollen Ende Mai nach China starten. Damit setzen wir gemeinsam Maßstäbe für sicheres Reisen in Zeiten der Pandemie und leisten einen wichtigen Beitrag zur Erholung der Weltwirtschaft. Dazu gehören Mut und natürlich gegenseitiges Vertrauen.

Als strategische Partner und Verfechter des Multilateralismus können China und Deutschland noch mehr auf internationaler Ebene tun. Beide Länder haben zugesagt, die WHO weiter zu unterstützen, um sie als Kompetenz- und Koordinierungszentrum im globalen Kampf gegen COVID-19 zu stärken. Präsident Xi Jinping verspricht zudem, in zwei Jahren 2 Milliarden US-Dollar bereitzustellen, um bei der weltweiten Reaktion auf COVID-19 zu helfen. Unsere beiden Länder arbeiten außerdem an der Forschung und Entwicklung von Impfstoffen zusammen und können ihre Erkenntnisse in den Dienst der WHO und damit als globales öffentliches Gut der gesamten Menschheit stellen. Zu den Gemeinsamkeiten gehört im Übrigen auch der Blick auf Afrika, wo Hilfe zur Selbsthilfe der Ansatz ist, die afrikanischen Staaten in ihren Gesundheitswesen zu stärken. China wird zum Beispiel demnächst mit 30 afrikanischen Krankenhäusern konkret zusammenarbeiten. Wir begrüßen hier jede Mitwirkung unserer deutschen Partner.

Unser Ziel ist sehr einfach: Das Virus so schnell wie möglich einzudämmen und Leben zu retten. Es geht über alle ideologischen und politischen Überlegungen hinaus. Die Pandemie macht uns noch einmal sehr deutlich: Wenn die Menschen weiter auf dieser Erde, unserem gemeinsamen Zuhause, leben wollen, dann müssen sie es im Einklang mit der Natur tun. Insofern ist die Menschheit zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammengewachsen und zu Konsens und Friedfertigkeit verpflichtet. Wir brauchen dazu aber mehr Güte und weniger Hass, mehr Inklusivität und weniger Ausgrenzung, mehr Wissenschaft und weniger Lüge, mehr Kooperation und weniger Konfrontation.

Ich möchte schließen mit einem Zitat des großen deutschen Dichters Johann Wolfgang von Goethe, das zu unserem gemeinsamen Motto werden könnte: „Es ist nicht genug, zu wissen, man muß auch anwenden; es ist nicht genug, zu wollen, man muß auch tun."

Dieser Beitrag erschien am 26. Mai 2020 im Handelblatt.

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