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Botschafter Shi Mingde: Der rote Faden ist Reform
2014-03-25 19:26

Botschafter Shi Mingde gab dem Tagesspiegel ein Interview, das am 24. März 2014 in „China 2014", Beilage der Zeitung aus Anlass des Staatsbesuchs von Staatspräsident Xi Jinping in Deutschland erschienen ist. Das Gespräch führte Christoph von Marschall. Im Folgenden das Interview im Wortlaut:

Welche Erwartungen knüpft Präsident Xi an seinen Besuch in Deutschland?

Er möchte die Beziehungen langfristig gestalten und die strategische Partnerschaft mit substantiellem Inhalt füllen. Dies ist der erste chinesische Staatsbesuch in Deutschland seit acht Jahren. Er hat historische Bedeutung. Unsere Länder verbindet eine solide Basis politischen Vertrauens auf höchster Ebene. Frau Merkel hat China in acht Jahren sechs Mal besucht. Ebenso oft war unser vormaliger Ministerpräsident Wen Jiabao in Deutschland. Sein Nachfolger Li Keqiang besuchte Deutschland als einziges EU-Land im Mai 2013, zwei Monate nach seiner Wahl. Wir arbeiten mit Deutschland an einem Aktionsprogramm für die nächsten fünf bis zehn Jahre.

Was sind die Prioritäten?

Unsere neue Führung hat ein Reformpaket verabschiedet: Urbanisierung, Industrialisierung, moderne Landwirtschaft, Ausbau der Informationsgesellschaft. Wir wollen die Umwelt schützen, energiesparende Techniken einführen, die Müllentsorgung und Abwasserreinigung verbessern und den Anteil der erneuerbaren Energien von jetzt acht auf 15 Prozent erhöhen. In all diesen Bereichen hat die deutsche Wirtschaft ihre Stärken. Politisch wollen wir mit Deutschland verstärkt bei internationalen Wirtschafts- und Finanzfragen zusammenarbeiten sowie unsere Positionen bei der Lösung regionaler Konflikte wie im Iran und in Syrien koordinieren.

Wie läuft die verstärkte Wirtschaftskooperation praktisch ab: Kauft China Techniken und Maschinen in Deutschland oder sollen deutsche Konzerne mehr in China investieren und produzieren?

Wir sind die beiden größten Exportnationen und die Staaten mit dem größten produzierenden Gewerbe. „Made in China" kann Hand in Hand mit „Made in Germany" vorangehen. Wir möchten parallel Zentral- und Westchina entwickeln und hoffen, dass die deutsche Wirtschaft unsere Strategie durch ein „Go West" innerhalb Chinas begleitet. Eine weitere Herausforderung ist die Urbanisierung. Jedes Jahr haben wir zehn Millionen mehr städtische Einwohner. Deutschland hat Erfahrung in sozialen Fragen und im Gesundheitswesen. Mit Freude sehen wir, dass die deutschen Investitionen in China im vergangenen Jahr doppelt so schnell wie die europäischen gestiegen sind. Rasch wachsen auch die chinesischen Investitionen in Deutschland. Das ist keine Einbahnstraße mehr.

Fast zeitgleich mit dem Staatsbesuch wird die Städtepartnerschaft zwischen Peking und Berlin 20 Jahre alt. Was tut sich da?

Mit der Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Justiz, Erziehung, Kultur und Sport haben unsere Hauptstädte gute Erfolge erzielt. Nun stehen wir vor neuen Herausforderungen: Umweltprobleme, Smog, Stadtverwaltung, Verkehr. Die deutschen Erfahrungen mit „Smart City" sind für uns wertvoll. Der Regierende Bürgermeister Wowereit und Pekings Oberbürgermeister Wang werden sich besuchen und die neuen Prioritäten festlegen.

Sie suchen den Kontakt zu Berliner Unternehmen?

Neulich war ich bei Alba, um mich über die Müllentsorgung zu informieren. Der Vorstandsvorsitzende, Herr Schweitzer, reist in diesen Tagen nach Peking. Wir vermitteln ihm auch Kontakte in den Provinzen. Dort ist man neben der Technik auch an den Führungsmodellen interessiert.

Sie sind gerade zurück von den Beratungen des Volkskongresses. Was ändert sich?

Der rote Faden ist Reform. Für 2014 wurde ein Wachstumsziel von 7,5 Prozent gesetzt und dann für die folgenden Jahre mindestens sieben Prozent, damit wir sowohl das BIP als auch die Einkommen der Bevölkerung bis 2020 verdoppeln können. Wir setzen auf Qualität und Effizienz. Der Markt spielt die entscheidende Rolle, die Kompetenzen der Regierung gehen zurück. Innerhalb eines Jahres wurden mehr als 400 Genehmigungsverfahren entweder abgeschafft oder nach unten delegiert.

Dezentralisierung?

Ja. Und Abbau von Bürokratie. Einheimische und ausländische Firmen werden gleich behandelt. Wir forcieren die Freihandelszone Shanghai.

Nach aller Erfahrung verlaufen solche Reformen nicht ohne Widerstände. Wie sind die Kräfteverhältnisse zwischen Modernisierern und Traditionalisten?

In den letzten 30 Jahren haben wir große wirtschaftliche Erfolge durch Wachstum erzielt. Dafür mussten wir einen hohen Preis zahlen: soziale Probleme, Umweltschäden, Korruption. Nun streben wir eine neue Phase mit nachhaltigem Wachstum an. Aber viele Strukturen sind verkrustet. Die Reformen können nur Erfolg haben, wenn wir die bestehenden Interessenkonstellationen aufbrechen. Deshalb die Reformen, nicht nur im wirtschaftlichen, sondern auch im politischen Bereich. Wir wissen, dass jeder Schritt auf Widerstand trifft.

Vielen Deutschen ist bewusst, dass deutsche Firmen in China investieren; rund 35 Milliarden Euro. Weniger bekannt ist das umgekehrte Phänomen: chinesische Investitionen in Deutschland in Höhe von drei Milliarden Dollar. Da gibt es noch ein Gefälle. Wie bewerten sie die Dynamik?

Chinesische Firmen investieren seit etwa fünf Jahren in Deutschland. Sie wachsen aber rasch und sind vor allem im produzierenden Gewerbe aktiv. 2012 hat Sany für 360 Millionen Euro die Betonpumpenfirma Putzmeister übernommen. Und die Shandong-Gruppe hat für 738 Millionen Euro 25 Prozent an Kion erworben. Anfangs wurden chinesische Investitionen mit Skepsis betrachtet. Wenn Amerikaner, Japaner, Koreaner kommen, gilt das als normal. China wird als Neuling gesehen, da gibt es Schlagzeilen. Neugier kann ich verstehen, aber nicht, wenn man chinesische Investitionen mit „Ausverkauf" oder „Invasion" gleichsetzt. Laut Umfragen liegt die generelle Zufriedenheit der Betroffenen mit ausländischen Investitionen bei zehn bis 30 Prozent, im Fall der Chinesen aber bei 40 bis 60 Prozent. Manche Firmen sind froh, dass sie von Chinesen übernommen werden und nicht von anderen Nationalitäten.

Es gibt aber Berührungsängste und Kulturunterschiede?

Manchmal ist es schwer, Visa zu bekommen, das dauert bis zu sechs Monate. Bei manchen Genehmigungsverfahren ist die deutsche Bürokratie schwerfällig. Die Steuern und andere Vorschriften sind kompliziert, da verliert man leicht den Überblick. Und natürlich haben wir unterschiedliche kulturelle Traditionen.

Zum Beispiel?

Die deutschen Gewerkschaften sind sehr gut organisiert und haben große Mitbestimmungsrechte. Solche Regelungen gibt es in China nicht. Oder Überstunden: Es ist schwer, deutsche Arbeiter davon zu überzeugen. In China sind die Menschen froh, wenn sie überhaupt Arbeit haben. Der große Vorteil in Deutschland ist die Qualifikation der Facharbeiter. Deshalb möchten wir das duale Ausbildungssystem in China einführen.

Das beherrschende internationale Thema ist die Ukraine. Bei den Beratungen im Sicherheitsrat der Uno über die Krim haben 13 der 15 Mitglieder für eine Resolution gestimmt, die das russische Vorgehen kritisiert. China hat sich enthalten. Wo steht China?

Wir haben alle Seiten zur Besonnenheit aufgerufen: Entspannung statt Eskalation. Der Konflikt muss diplomatisch gelöst werden durch Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten. Wir befürworten eine Lösung im Rahmen der Gesetze und Ordnung. Ein Internationaler Kontaktmechanismus soll eingerichtet werden. Sanktionen führen zu Gegensanktionen.

Traditionell ist China gegen die Einmischung eines Staats in einem anderen Staat. Das hieße hier: gegen Russlands Intervention in der Ukraine.

Das ist die kontinuierliche Außenpolitik Chinas: die Souveränität und territoriale Integrität aller Länder muss respektiert werden. Das ändert sich nicht.

China hat aber auch wirtschaftliche Interessen in der Ukraine. Im Westen hat es große Landstriche gepachtet, um Getreide anzubauen. Im Osten sind die Waffenschmieden, die Ersatzteile für Chinas Rüstungsgüter liefern. Wie geht China damit um?

Wir betrachten die Ukraine als vereintes Land, das sich nicht in Ost und West teilt. Wir haben intensive Wirtschaftsbeziehungen mit allen osteuropäischen Ländern, China hat dort investiert. Wir wollen nicht, dass es dort zu Konflikten kommt. Darunter leiden alle.

Kann und will China vermitteln?

Alle Seiten zeigen die Bereitschaft zu Gesprächen, auch Russland. Jetzt ist mehr denn je Dialog gefordert.

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